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Interview mit Süddeutsche Zeitung

Interview mit Andrea Enria, Vorsitzender des Aufsichtsgremiums der EZB, geführt von Meike Schreiber und Markus Zydra am 4. und veröffentlicht am 17. Februar 2020 (Teil 1)

17. Februar 2020

Herr Enria, Sie sind jetzt als Chef der EZB-Bankenaufsicht ein Jahr in Frankfurt, vorher waren Sie in London. Ist es langweilig hier?

Das kann man nicht vergleichen. London gehört wahrscheinlich zu den dynamischsten Städten der Welt. Frankfurt bietet eine sehr gute Lebensqualität und alles ist schnell erreichbar. Wir fühlen uns sehr wohl.

Gehen Sie abends auch einmal aus?

Manchmal in die Brasserie um die Ecke in Sachsenhausen, manchmal in ein japanisches Restaurant, vor dem mich die Kollegen allerdings warnen.

Warum?

Das Restaurant liegt ausgerechnet im Erdgeschoss der Deutschen Bank (lacht), und Bankenaufseher sollten ja Abstand halten zu den Instituten. Aber ich esse dort trotzdem, mich erkennt hier sowieso kaum jemand.

Sie haben ab 1999 für einige Jahre als EZB-Mitarbeiter schon einmal in Frankfurt gelebt. Haben Sie ein Beispiel für etwas, das typisch deutsch ist?

Es ist beeindruckend, wie stark die Deutschen Regeln verinnerlichen. Meine Nachbarn haben damals geschaut, ob ich den Müll richtig getrennt hatte. Das kannte ich vorher nicht. Die Stadtteilverwaltung ermunterte uns, Missstände zu melden, etwa wenn eine Straßenlampe nicht mehr funktionierte. Ich finde das gut, denn wenn man die Regeln befolgt, wird das Zusammenleben leichter. In Italien nehmen die Menschen oft nicht wahr, dass Regeln in ihrem eigenen Interesse sind. So warnen sich Autofahrer beispielsweise gegenseitig, wenn es Geschwindigkeitskontrollen gibt.

Aber Italien hat ein System, das auf Regeln basiert.

Klar, aber da Italien in seiner Geschichte oft unter fremder Herrschaft stand, gibt es in der Bevölkerung eine skeptische Grundhaltung gegenüber den Regierenden. Dies kann auch von Vorteil sein, da es dem Schutz der persönlichen Freiheit dient. Italien und Deutschland haben aber auch viel gemeinsam. Ihre Liebe zur Kultur beispielsweise. Auch die Bankensektoren sind sich ähnlicher als allgemein angenommen wird.

Das müssen Sie erklären.

In beiden Ländern gibt es sehr viele Banken, Sparkassen und Genossenschaften haben eine lange Tradition. Für lange Zeit war beiden Ländern auch gemeinsam, dass Banken in kommunaler oder regionaler Hand waren. Das ist einfach so, auch wenn die Deutschen dazu neigen, den italienischen Bankensektor zu stigmatisieren. Die Italiener haben übrigens auch Vorbehalte gegenüber deutschen Banken.

Ihre Berufung zum obersten Bankenaufseher Europas war in Deutschland sehr umstritten, weil Sie Italiener sind. Hat Sie diese Kritik verletzt?

Ich werde oft kritisiert, auch in Italien, weil ich bestimmte Entscheidungen getroffen habe. Mich verletzt das nicht. Es stimmt mich aber traurig, dass Menschen andere auf der Grundlage ihrer Nationalität beurteilen. Ich fühle mich als unabhängiger Staatsdiener, der für das europäische Projekt arbeitet.

Woher kommen diese Vorurteile?

Die Bankenunion steht für einen sehr großen Veränderungsprozess, da sind unterschiedliche nationale Sichtweisen nicht ungewöhnlich. Die Wahrheit ist: Der italienische und deutsche Bankensektor sind sehr heterogen. Es gibt dort schwache und starke Banken, und wir bei der EZB schauen bei unserer Beurteilung nicht darauf, in welchem Land die Bank ihren Sitz hat.

Macht Ihnen die Arbeit Spaß?

Die Bankenaufsicht ist ein seltsames Geschäft. Die Öffentlichkeit interessiert sich erst für uns, wenn etwas schiefläuft. Dann sind wir schuld. Wenn alles gut läuft und der Bankensektor stabil ist, gelten wir als Störer, die mit ihrer Bürokratie alles verhindern. Aber der Job ist einfach großartig. Es gibt nur wenige Bankenaufseher, die aufhören, um woanders zu arbeiten. Wir sind alle sehr passioniert. Wer einmal dabei ist, wird süchtig.

Süchtig? Wenn wir uns allein die seitenlangen Excel-Tabellen anschauen, in welche die Banken ihre Daten eintragen, zum Beispiel beim jährlichen Stresstest, dann wirkt das auf uns hochgradig abschreckend.

Das stimmt natürlich. Richtig spannend sind aber die vielen unterschiedlichen Geschäftsmethoden und Themen im Finanzsektor. Da gibt es Banken, die expandieren in die Welt, und Institute, die geschäftlich ums Überleben kämpfen. Und man trifft auf Geldhäuser, die von Kunden als Vehikel für kriminelle Aktivitäten benutzt werden. In dem Job als Aufseher geht es um mehr als nur technische Dinge. Es geht um die Menschen, warum sie bestimmte Dinge tun, welche Anreize sie dazu gebracht haben.

Und was sehen Sie da? Was läuft heute, 12 Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise, falsch im europäischen Bankensektor?

Der Bankensektor ist inzwischen viel stärker, auch aufgrund der Reformen im Aufsichtsbereich. Die Bankmanager denken bei ihren Geschäften aber immer noch zu sehr an kurzfristige Profite. Dieses Verhalten hat auch zum Ausbruch der Finanzkrise beigetragen. Die Finanzinstitute sollten sich stärker um ihre langfristigen Risiken kümmern. Sie sollten sich zum Beispiel fragen, ob sie den Klimawandel bei ihren Geschäftsentscheidungen und beim Risikomanagement ausreichend berücksichtigen.

Haben Sie noch eine Sorge?

Schwache Governance ist ein Problembereich. Bei vielen Banken stellt auch die schlechte Datenqualität ein Problem dar. Einige Banken sind nicht einmal in der Lage, ein Gesamtbild ihrer Risikolage einschließlich aller Tochterunternehmen und Zweigstellen zu liefern. Und ohne gute Daten können Banker keine guten Entscheidungen treffen. Die Aufsichtsräte der Banken müssten dem Management häufig genauer auf die Finger schauen. Darauf werden wir als Aufseher künftig stärker achten.

Die Deutsche Bank vergab für 2019 Millionen-Boni an den Vorstand, obwohl die Bank einen hohen Verlust machte. Warum haben Sie das zugelassen?

Zu einzelnen Banken kann ich nichts sagen. Allgemein betrachtet handelt es sich hier um ein etwas komplexeres Thema. Wenn eine Bank durch eine extrem riskante Geschäftsstrategie einen hohen Gewinn macht – ist der Bonus dann gerechtfertigt? Nicht unbedingt. Wir greifen ein, wenn das Bonussystem den Bankern Anreize bietet, übermäßige Risiken einzugehen. Wenn eine Bank sich umstrukturiert, weniger Risiko eingeht und dabei ein Verlust anfällt und die Bank trotzdem einen angemessenen Bonus zahlt, um talentierte Manager halten zu können, dann ist mir das lieber. Als Aufseher können wir nicht darüber urteilen, wie eine Bank ihre Leute und Vorstände bezahlt. Was wir prüfen können ist, ob das Bonus-System die falschen Anreize setzt.

Aber haben wir da nicht weiterhin auch ein systemisches Problem, weil sich die Banken immer noch ein Stück weit hochschaukeln bei den Boni? Das schwächt doch die Banken noch zusätzlich in einem Umfeld niedriger Zinsen?

Ja, natürlich gibt es Situationen, in denen wir handeln müssen. Wenn sie zu viel Boni zahlen und dadurch die Bank schwächen. Aber wir haben heute strengere Regeln als in den meisten anderen Ländern der Welt, seit das europäische Parlament Obergrenzen für Boni in Relation zum Fixgehalt durchgesetzt hat.

Als Antwort auf die neue Richtlinie haben die Banker sofort ihre Fixgehälter erhöht. War das nicht am Ende doch kontraproduktiv?

Das würde ich nicht sagen. Die Banken können das Fixgehalt nicht unbegrenzt erhöhen. Auch die Zahl der Einkommensmillionäre bei europäischen Banken ist gesunken.

Aber die öffentliche Meinung sieht das Thema dennoch weiter kritisch. Müssen Sie ihre Arbeit besser erklären? EZB-Chefin Christine Lagarde will das ja nun in der Geldpolitik tun. Wäre das auch in der Aufsicht angebracht?

Schon jetzt bemühen wir uns ernsthaft darum, transparent zu sein und unsere Maßnahmen der Öffentlichkeit zu erklären. Das ist nicht immer einfach. Wichtig ist mal eines zu sagen: Wir sind eine Behörde, wir sind kein allmächtiger Leviathan, der alles vorschreiben kann; die Höhe der Einlagenzinsen, die Gehälter. Genau das ist nicht unsere Rolle. Daher müssen wir unser Mandat besser erklären, und das lautet, darauf zu achten, dass die Banken keine zu hohen Risiken eingehen, damit sie ihre Stabilität nicht gefährden.

Vor kurzem haben sie explizit die Deutsche Bank erwähnt und gesagt, dass die Aufsicht einen Teil dazu beigetragen hat, dass das Institut sein Geschäftsmodell überarbeitet. Wird es künftig eine Art „Bankenpranger“ geben?

Also, einen Bankenpranger will ich definitiv nicht …

… ja, aber vielleicht wäre das auch mal nötig?

Eigentlich ist es immer besser, keine Namen zu nennen. Die Worte eines Aufsehers werden schnell interpretiert und aus dem Zusammenhang gerissen. Unsere Aufgabe als Aufseher ist heikel.

Fühlen Sie sich manchmal wie ein Priester, der immer die gleiche Predigt hält? Müssen die Banken nicht selbst darauf kommen, Kosten und Risiken in den Griff zu bekommen?

Ja, die Banken und deren Aktionäre müssen sich selber für ihr Geschäftsmodell entscheiden. Aber klar, wenn Banken nicht auf schwierige Marktbedingungen reagieren, können sie eine Krise auslösen, was für alle ein Problem ist: für den Markt, für die Sparer, die Einleger. Daher haben wir nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, es deutlich zu sagen, wenn eine Bank kein funktionierendes Geschäftsmodell hat. Es kommt vor, dass Banken unsere Empfehlungen, beispielweise zur Kosteneffizienz, wieder und wieder nicht einhalten und weiter Kapital verbrennen. Als Aufseher müssen wir dann etwas sagen dürfen.

Teil 2 (veröffentlicht am 19. Februar 2020)
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