Wie gehen wir mit den Auswirkungen geopolitischer Risiken um?
Geopolitische Risiken sind keine neue Erscheinung. Sie sind übergreifende Risikofaktoren, die sich auf die traditionellen Risikokategorien der Banken auswirken können. Derzeit sind die geopolitischen Risiken jedoch erhöht, was Folgen für die Unternehmen, die Wirtschaft und den europäischen Bankensektor hat. Eine Erweiterung des Aufsichtsschwerpunkts ist daher angebracht.
Die Banken müssen widerstandsfähig bleiben und dafür sorgen, dass sie die Auswirkungen geopolitischer Risiken auf ihre Geschäftsaktivitäten gut steuern können. Zum Schutz des Finanzsystems arbeitet die europäische Bankenaufsicht mit den Banken zusammen, um hilfreiche Verfahren für den Umgang mit diesen Risiken zu entwickeln. Bei Bedarf kommen Aufsichtsinstrumente zum Einsatz, um zu gewährleisten, dass die Banken ihr Risikomanagement verbessern.
Was sind geopolitische Risiken?
Unter geopolitischen Risiken versteht man die Gefahr, den Eintritt und die Ausweitung von negativen Ereignissen, die den friedvollen Verlauf internationaler Beziehungen beeinflussen. Ursachen können Kriege, Terrorismus oder Spannungen zwischen Staaten und politischen Akteuren sein.
Measuring Geopolitical Risk, American Economic Review, 2022Wirtschaftspolitische Unsicherheit
Die geopolitischen Risiken sind in den letzten Jahren gestiegen. Sie sind einer der Gründe, warum die wirtschaftspolitische Unsicherheit in Europa und weltweit deutlich zugenommen hat.

Quelle: policyuncertainty.com.
Anmerkung: Dieser Index ist nachrichtenbasiert und bildet die wirtschaftspolitische Unsicherheit ab. Zur Bestimmung der Unsicherheit wird erfasst, wie häufig die Begriffe „unsicher“/„Unsicherheit“ oder „wirtschaftlich“/„Wirtschaft“ sowie ein oder mehrere politisch relevante Begriffe in Zeitungsartikeln auftauchen. Die Angaben beziehen sich auf den Zeitraum von Januar 1997 bis August 2025 für den Index der wirtschaftspolitischen Unsicherheit in Europa, und auf den Zeitraum von Januar 1997 bis Juli 2025 für den Index der wirtschaftspolitischen Unsicherheit weltweit. Die Grundlage für den europäischen Index bilden Zeitungen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und dem Vereinigten Königreich. Der weltweite Index ist ein BIP-gewichteter Durchschnitt (zu aktuellen Preisen) der nationalen Indexe für die wirtschaftspolitische Unsicherheit in den folgenden Ländern: Australien, Brasilien, Chile, China, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Indien, Irland, Italien, Japan, Kanada, Russland, Schweden, Spanien, Südkorea, Vereinigtes Königreich und Vereinigte Staaten.
Wie betreffen geopolitische Risiken die Banken?
Aus geopolitischen Risiken können sich Kredit-, Markt-, Finanzierungs- sowie operationelle Risiken ergeben. Geopolitische Schocks können über verschiedene Kanäle auf die Banken und ihr Geschäftsumfeld übergreifen.
Geopolitische Schocks können Banken über folgende Kanäle treffen:
Finanzmarkt
Ist die Unsicherheit und Risikoaversion der Anleger erhöht bei fragmentierten Finanzmärkten, so kann das zu schwankenden Vermögenspreisen führen. Dies kann wiederum globale Kapitalströme beeinträchtigen und die Finanzmärkte volatiler machen. Mögliche Folgen sind Wertverluste bei den Wertpapierportfolios der Banken oder direkte Verluste bei Handelsportfolios. Dadurch steigen Markt- und Finanzierungsrisiken.
Realwirtschaft
Zölle, Sanktionen, Störungen bei Handelsströmen und unterbrochene Lieferketten können Inflationsdruck erzeugen und Unternehmen wie auch Verbraucher zu Verhaltensänderungen bewegen. Außerdem können sie die allgemeine Wirtschaftslage verschlechtern, die den Kreditportfolios der Banken zugrunde liegt. Infolgedessen können das Kreditrisiko und die Ausfallraten steigen, und höhere Rückstellungen für Kreditausfälle notwendig werden. Auch der Druck auf die Kapitalausstattung der Banken kann zunehmen.
Sicherheit
Konflikte, Unruhen und erfolgreiche Cyberangriffe können die operationelle Widerstandsfähigkeit der Banken schwächen. Durch Cyberangriffe und Störungen ihres Betriebs könnten die Banken operationellen Risiken ausgesetzt sein. Auch ihre physische Infrastruktur oder die Infrastruktur kritischer Drittanbieter könnte Schaden nehmen.
Wie greifen geopolitische Spannungen auf die Banken über?
Wie greifen geopolitische Spannungen auf die Banken über?

Anmerkung: Hier werden die Übertragungskanäle ausführlicher dargestellt.
Wie berücksichtigen wir diese Risikoart bei unserer Aufsichtstätigkeit?
Aufsichtsprioritäten
Geopolitische Risiken können sich auf die traditionellen Risiken für Banken auswirken. Aus diesem Grund waren sie bereits Teil der Aufsichtsprioritäten für die Jahre 2024-2026. In den Aufsichtsprioritäten für die Jahre 2025-2027 haben wir diese Risikoart stärker ins Visier genommen.
Stresstest zur Cyberresilienz
2024 haben wir einen Stresstest zur Cyberresilienz durchgeführt. Mithilfe des Tests wollten wir uns ein Bild davon machen, wie gut Banken potenziellen Risiken standhalten können, da geopolitische Turbulenzen mit operationellen Risiken und Cyberangriffen verbunden sein können. Geopolitische Risiken waren auch ein zentraler Bestandteil des EU-weiten Stresstests 2025 und werden im Mittelpunkt des thematischen Stresstests 2026 stehen.
Aufsichtliche Leitlinien
Aufgrund des übergreifenden Charakters geopolitischer Risiken sind bestehende aufsichtliche Leitlinien möglicherweise entscheidend, um Banken beim Umgang mit solchen Risiken zu unterstützen. Wir nehmen die allgemeinen Planungsprozesse der Banken unter die Lupe, analysieren also ihre Prozesse zur Sicherstellung einer angemessenen Kapital- und Liquiditätsausstattung, ihre Sanierungspläne und ihre internen Stresstestrahmen. So wollen wir herausfinden, wie gut Banken mit geopolitischen Schocks klarkommen.
Marktbeobachtung
Regelmäßige Marktbeobachtung und eingehende Überprüfungen gehören ebenfalls zum Tätigkeitsportfolio der EZB-Bankenaufsicht. Ziel ist, Risiken aus entstehenden geopolitischen Schocks zu erkennen, besser zu verstehen, einzuschätzen und die Mitarbeitenden der Bankenaufsicht für die damit verbundenen Herausforderungen zu sensibilisieren. Ein größeres Bewusstsein ist hilfreich für den Dialog mit den Banken über den Umgang mit geopolitischen Risiken.
Was erwarten wir von den Banken?
Die Banken müssen alle ihre potenziellen oder tatsächlichen Risiken umsichtig und konservativ erkennen und steuern. Dabei müssen sie dem Umfang und der Komplexität ihrer Geschäftsmodelle und -tätigkeiten Rechnung tragen. Geopolitische Risiken können über folgende Kanäle übertragen werden: Kreditrisiko, Liquiditäts- und Finanzierungsrisiko, Markrisiko, Geschäftsmodellrisiko, operationelles Risiko und Governance. Daher wird von den Banken erwartet, dass sie bei ihrer Risikoidentifizierung und -steuerung auch geopolitische Risiken berücksichtigen, denn diese Risikoart betrifft nicht nur Banken mit direkter internationaler Präsenz. Auch kleinere Banken können geopolitischen Risiken indirekt ausgesetzt sein, etwa durch ihre Firmenkunden oder weil sie auf internationale Kapitalmärkte oder Auslagerungsvereinbarungen (insbesondere für IKT- und Cloud-Dienste) angewiesen sind, die nur wenige Firmen anbieten.
Geopolitische Schocks können sich auf ganz unterschiedliche Weise äußern. Je nach Geschäftspartnern, sektoraler Ausrichtung oder operationellen Abhängigkeiten kann dasselbe geopolitische Ereignis Banken ganz unterschiedlich treffen.
- Einen starken Governance- und Risikomanagementrahmen
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Die Banken sollten die Auswirkungen geopolitischer Risiken in ihrer strategischen Entscheidungsfindung berücksichtigen. Sie benötigen solide Regelungen für die Unternehmensführung, interne Kontrollmechanismen sowie ein solides Risikomanagement, um Risiken (auch geopolitische Risiken) wirksam zu überwachen und anzugehen. Die Leitungsorgane der Banken müssen die Geschäftsziele und Rahmen für die Risikobereitschaft aufeinander abstimmen, damit Risikoübernahme und -kontrolle zusammen passen.
Das A und O für eine solide Risikoüberwachung und Entscheidungsfindung sind die Kapazitäten zur Aggregation von aussagekräftigen und verlässlichen Risikodaten und zur Risikoberichterstattung. Die folgenden Dokumente beschreiben bewährte Verfahren, an denen sich die Banken orientieren können: Im SREP verwendete Methoden für die interne Governance und das Risikomanagement, Entwurf eines Leitfadens zu Governance und Risikokultur und Leitfaden zur effektiven Aggregation von Risikodaten und zur Risikoberichterstattung.
- Solides finanzielles Risikomanagement
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Gegebenenfalls müssen die Banken geeignete Maßnahmen ergreifen, um Risiken abzumildern und zu verhindern, dass sie übermäßige Risiken eingehen. Sie sollten die Eigenkapitalausstattung anpassen oder entsprechend Rückstellungen für Kreditausfälle bilden. Sie müssen die Auswirkungen geopolitischer Risiken fortlaufend überwachen und Frühwarnsysteme haben.
Damit die Banken wissen, wie sie ihre Eigenkapitalausstattung je nach Risikoprofil gestalten sollten, haben wir den Leitfaden für den bankinternen Prozess zur Sicherstellung einer angemessenen Kapitalausstattung (Internal Capital Adequacy Assessment Process – ICAAP) und den Leitfaden für den bankinternen Prozess zur Sicherstellung einer angemessenen Liquiditätsausstattung (Internal Liquidity Adequacy Assessment Process – ILAAP) veröffentlicht. Darüber hinaus haben wir bewährte Verfahren zur Erfassung neuartiger Risiken bei Rückstellungen für Kreditausfälle zusammengestellt.
- Umsichtige Kapitalplanung/Stresstests
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Die Banken benötigen Instrumente, mit denen sie simulieren können, welche Auswirkungen geopolitische Ereignisse auf ihre Finanzstabilität und operationelle Widerstandsfähigkeit haben könnten. Kennt eine Bank ihre Risikoposition, muss sie Folgemaßnahmen ergreifen, um den Auswirkungen entgegenzuwirken oder sie zu bewältigen.
In dem Bericht über den Umgang der Banken mit dem ICAAP wird den Banken empfohlen, dass sie eine Vielzahl von adversen Szenarien (auch geopolitische Risiken) in ihre Kapitalplanung einfließen lassen. Der Leitfaden zum ICAAP enthält auch bewährte Verfahren für interne Stresstests.
- Operationelle Widerstandsfähigkeit
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Bei geopolitischen Turbulenzen kann es zu Cyberbedrohungen und zum Ausfall von Diensten kommen, die an Dritte ausgelagert wurden. Die Folge können Datenverluste sein, was wiederum physische Sicherheitsrisiken birgt und internationale Sanktionen nach sich zieht. Aus diesem Grund brauchen Banken einen robusten Compliance- und Überwachungsrahmen.
Banken müssen sich gegen diese Risiken absichern durch Präventivmaßnahmen, Notfallpläne und Mitarbeiterschulungen. Durch die Verordnung der EU über die digitale operationale Resilienz im Finanzsektor werden die Regeln für verschiedene Arten von Finanzunternehmen und ihre Drittdienstleister in Zusammenhang mit der digitalen operationalen Resilienz harmonisiert. Der Leitfaden zur Auslagerung von Cloud-Diensten an Cloud-Anbieter enthält bewährte Verfahren für die Umsetzung von Resilienzmaßnahmen für die Cloud.