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Zusammen für Klimaneutralität: Welche Rolle spielen stabile Banken?
Rede von Claudia Buch, Vorsitzende des Aufsichtsgremiums der EZB, bei der Woche der Umwelt
Berlin, 4. Juni 2024
Herzlichen Dank für die Einladung zur Eröffnung der siebten Woche der Umwelt. Ich freue mich sehr, heute über die Bedeutung von Klima- und Umweltrisiken für die Stabilität von Wirtschaft und Finanzsystem zu sprechen – ein für uns in der Europäischen Zentralbank sehr wichtiges Thema.
Denn Klimawandel und Umweltschäden sind allgegenwärtig. Sie sind spürbar, bergen große Risiken und führen zu massiven wirtschaftlichen Schäden. Nicht erst in ferner Zukunft, sondern schon jetzt, auch unmittelbar vor unserer Haustür.
Überschwemmungen, Dürren und Hitzewellen haben in Europa bereits zu erheblichen finanziellen Schäden geführt.[1] Wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, kann die globale Erwärmung Studien zufolge bis zum Jahr 2050 zu einem Verlust der globalen Wirtschaftsleistung von mehreren Prozentpunkten jährlich führen.[2] Auch der Verlust an Biodiversität hätte erhebliche wirtschaftliche Kosten.[3]
Wir müssen Klima und Umwelt heute schützen, wenn wir morgen in einer sicheren und stabilen Welt leben wollen. Klimaschutz und Biodiversität sind Voraussetzung dafür, dass Haushalte und Unternehmen sicher für ihre Zukunft planen können – ohne die Sorge, dass ihre künftige Lebensgrundlage gefährdet ist.
Umwelt- und Klimarisiken betreffen auch den Bankensektor.
Denn Banken sind eine wichtige Brücke in die Zukunft. In ihren Krediten spiegeln sich die wirtschaftlichen Strukturen der Vergangenheit – zum Beispiel in Form von Krediten, die an Unternehmen mit CO2-intensiver Produktion vergeben wurden. Gleichzeitig können die Banken durch die Vergabe neuer Kredite, etwa an Produzenten erneuerbarer Energien, die Zukunft mitgestalten. Solche Finanzierungen sind wichtig, denn bis zum Jahr 2030 müssen die CO2-Emissionen in Europa um 55 % gesenkt werden.[4] Das erfordert Investitionen.
Diese Finanzierung kann nicht nur von Banken geleistet werden, da es oft um langfristige, risikoreiche Investitionen geht, für die auch eine Finanzierung über Kapitalmärkte erforderlich ist. Aber Banken spielen sicherlich eine wichtige Rolle für die Finanzierung der ökologischen Transformation.
Warum beschäftigt sich die Europäische Zentralbank (EZB) mit Klima- und Umweltrisiken? Klima- und Umweltpolitik gehören nicht zu den Aufgaben einer Notenbank, sondern müssen von gewählten Parlamenten gestaltet werden.[5]
Doch die EZB muss die Folgen des Klimawandels und der Klimapolitik bei der Erfüllung ihrer Mandate berücksichtigen.
Das geldpolitische Mandat der EZB ist von den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels betroffen.
Neben der Geldpolitik hat die EZB aber noch eine weitere wichtige Aufgabe: Sie beaufsichtigt die großen Banken im Euroraum. In diesem Jahr feiern wir das zehnjährige Jubiläum der europäischen Bankenunion – mit der gemeinsamen Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB als einem zentralen Pfeiler.
Die Bankenunion war eine Reaktion auf Krisen: Die globale Finanzkrise und die europäische Schuldenkrise haben gezeigt, dass Risiken im Finanzsektor nicht vor Ländergrenzen Halt machen.
Auch die aus Klimawandel und Umweltzerstörung resultierenden Risiken sind global. Sie betreffen alle Länder, sie betreffen alle Banken. Aus diesem Grund beschäftigt sich die europäische Bankenaufsicht seit mehreren Jahren intensiv mit Klima- und Umweltrisiken.
Hierbei geht es um physische Risiken wie Überschwemmungen, Brände oder Stürme. Solche Extremwettereignisse können den Wert von Immobilien und damit der Kreditsicherheiten von Banken reduzieren. Das Kreditrisiko steigt.
Mit dem Klimawandel sind zudem transitorische Risiken verbunden. Steigen die Preise für CO₂, steigen zunächst auch die Kosten von Unternehmen, die viel CO₂ emittieren. Das ist eine gewünschte Lenkungswirkung — in einer Übergangszeit kann es aber vermehrt zu Kreditausfällen kommen.
Banken müssen also einschätzen, wie sich Klima- und Umweltrisiken auf ihre Bilanzen auswirken. Wie bei jeder anderen Art von Risiko müssen sie auch diese Risiken zunächst erkennen und dann gut steuern. Sie müssen über ausreichend Eigenkapital verfügen, um mögliche Verluste auffangen zu können. Kurzum, sie müssen widerstandsfähig sein.
Mit gutem Risikomanagement und einer ausreichenden Resilienz leisten Banken einen zentralen Beitrag zu einer nachhaltigeren Wirtschaft. Dabei müssen sie eng mit ihren Kunden zusammenarbeiten und Finanzierungen bereitstellen, damit die Unternehmen ihre Lieferketten und ihre Produktion neu ausrichten können.
Wie stark sind die Banken von Klima- und Umweltrisiken betroffen?
Im Jahr 2019 haben wir die europäischen Banken erstmals zu Klimarisiken befragt, mit einem eher ernüchternden Ergebnis. Für viele Banken waren Klimarisiken ein relativ neues Thema. Es fehlten Daten, um die Risiken zu messen. Es fehlten Konzepte, um Klimarisiken zu steuern.
Daher hat die EZB-Bankenaufsicht im Jahr 2020 einen Leitfaden für den Umgang mit Klima- und Umweltrisiken formuliert.[6] Dabei geht es uns nicht darum, die Kreditvergabe der Banken zu steuern oder Kredite an CO₂-intensive Unternehmen generell zu unterbinden. Es geht uns vielmehr darum, dass Banken ihre Klima- und Umweltrisiken gut managen.
Wir haben im Jahr 2022 eine thematische Überprüfung zu Klima- und Umweltrisiken[7] und einen Klimastresstest durchgeführt. Das Ergebnis: ein großer Teil der Zinserträge von Banken stammt aus Krediten an CO₂-intensive Industrien.[8] Wir stehen in einem engen Dialog mit den Banken, um das Management der daraus resultieren Risiken zu verbessern.
Inzwischen hat sich die Lage deutlich verbessert. Fast alle Banken sehen Klima- und Umweltrisiken als wesentliche finanzielle Risiken an und passen ihr Risikomanagement schrittweise an.[9] Hierbei sind die Banken auf Informationen ihrer Kunden angewiesen – die künftig verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen wird Banken zuverlässigere und besser vergleichbare Daten liefern.[10]
Das sind gute Nachrichten – aber es liegt noch einiges an Arbeit vor uns. Banken müssen beispielsweise Klima- und Umweltrisiken noch besser in ihre strategischen Planungen und ihre Stresstests integrieren. Erfüllen sie unsere aufsichtlichen Erwartungen nicht,[11] können wir entsprechende Maßnahmen ergreifen und von den Banken beispielsweise ein besseres Risikomanagement oder mehr Eigenkapital verlangen.
Gutes Risikomanagement der Banken und eine starke Aufsicht ergänzen so die Klima-und Umweltpolitik – sie sind aber kein Ersatz. Sie sind wichtige Bausteine für den gesellschaftlichen Umgang mit Klima- und Umweltrisiken. „Zusammen für Klimaneutralität“ lautet das Motto der heutigen Veranstaltung. Für mich bedeutet das: Wir haben in der Gesellschaft einen starken Konsens über klima- und umweltpolitische Ziele. Schrittweise wollen wir in den beiden kommenden Jahrzehnten klimaneutral werden.
Es gibt viele Wege, dieses Ziel zu erreichen. Änderungen der relativen Preise von CO₂ sind ein wichtiger Hebel, um klimaschädliches Verhalten zu verteuern. Aber es sind auch ordnungsrechtliche Maßnahmen und ein sozialpolitischer Ausgleich nötig, damit Änderungen der relativen Preise von CO₂ schwächere Gruppen der Bevölkerung nicht über Gebühr belasten.
Über die beste Kombination dieser Maßnahmen muss in der Gesellschaft diskutiert und dann auf politischer Ebene entschieden werden.
Diese klima- und umweltpolitischen Entscheidungen sind die Basis unserer Arbeit.
Aufsicht und Regulierung des Bankensektors haben keine klimapolitischen Ziele. Aber sie setzen den Rahmen dafür, dass Banken Klima- und Umweltrisiken richtig messen, bewerten und entsprechend Resilienz aufbauen. Das schafft Transparenz und Stabilität in einer Zeit, in der die Klimakrise eine große Transformation der europäischen Volkswirtschaften erfordert.
Stabile Banken sind eine zentrale Brücke für den Weg in eine nachhaltige Zukunft.
In Slowenien hat Starkregen im vergangenen Jahr zu Schäden in Höhe von 16 % des Bruttoinlandsprodukts geführt. In der Emilia-Romagna in Norditalien verursachten Überschwemmungen Schäden in Höhe von 9 Milliarden Euro. Vgl. Europäische Umweltagentur, Europäische Bewertung der Klimarisiken, EEA-Bericht, Nr. 01/2024; und Financial Times, EU warned of rising risk of systemic financial shocks from continent warming, 11. März 2024.
Siehe P. Bennett, Climate change is costing the world $16 million per hour: study, World Economic Forum und EcoWatch, 12. Oktober 2023; S. Aerts, M. Spaggiari und L. Stracca, Climate scenarios: procrastination comes at high cost, Der EZB-Blog, 4. Dezember 2023; Sustainability Insights Research: Lost GDP: Potential Impacts of Physical Climate Risks, siehe Website von S&P Global; und Schätzungen der Europäischen Umweltagentur, Economic losses from weather- and climate-related extremes in Europe, 6. Oktober 2023.
Siehe N. Ranger et al., The Green Scorpion : The Macro-Criticality of Nature for Finance – Foundations for scenario-based analysis of complex and cascading nature-related financial risks, NGFS Occasional Paper, 13. Dezember 2023; und S. Torkington, 50% of the global economy is under threat from biodiversity loss, World Economic Forum, 7. Februar 2023.
In der Europäischen Union ist das Übereinkommen von Paris durch das verbindliche Europäische Klimagesetz umgesetzt worden, das Klimaneutralität bis 2050 verlangt. Mit dem Paket „Fit für 55“ hat die EU ihre Selbstverpflichtung noch einmal unterstrichen, die Emissionen bis 2030 um 55 % zu senken.
F. Elderson, Policymakers as policy takers – accounting for climate-related and environmental factors in banking supervision and monetary policy, Rede beim Peterson Institute for International Economics, 21. April 2023.
EZB, Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken, November 2020.
Ziel der thematischen Überprüfung war es, zu prüfen, ob die Banken Klima- und Umweltrisiken angemessen erkennen, quantifizieren und steuern. Siehe EZB, Walking the talk – Banks gearing up to manage risks from climate change and environmental degradation, November 2022.
Vgl. EZB, 2022 climate risk stress test, Juli 2022, und EZB, ECB report on good practices for climate stress testing, Dezember 2022.
F. Elderson, You have to know your risks to manage them – banks’ materiality assessments as a crucial precondition for managing climate and environmental risks, Blog der Bankenaufsicht, EZB, 8. Mai 2024.
Rechtsvorschriften zu nachhaltigen Finanzen, etwa die EU-Taxonomieverordnung oder die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD), spielen eine entscheidende Rolle bei der Offenlegung von Informationen über die Nachhaltigkeit.
Vgl. F. Elderson, Making banks resilient to climate and environmental risks – good practices to overcome the remaining stumbling blocks, Rede bei der 331. Sitzung des Executive Committee der European Banking Federation, 14. März 2024; und F. Elderson, You have to know your risks to manage them – banks’ materiality assessments as a crucial precondition for managing climate and environmental risks, Blog der Bankenaufsicht, EZB, 8. Mai 2024.
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