Harmonisierung ebnet den Weg zu einem europäischen Bankenmarkt
Rede von Sabine Lautenschläger, Mitglied des Direktoriums der EZB und stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsgremiums der EZB, BaFin Jubiläumsveranstaltung, Bonn, 28. Juni 2017
Was die Zukunft europäischer Regulierung angeht, müssen wir zwei Fragen beantworten.
Erstens: Wird die europäische Regulierung weiterhin von globalen Standards geprägt?
Zweitens: Wie europäisch muss die Regulierung in Europa sein?
Was die erste Frage angeht, bin ich immer noch ein überzeugter Anhänger globaler Regulierung. Die Finanzkrise des Jahres 2008 hat uns gezeigt, wie vernetzt das globale Bankensystem ist. Scheitert eine Bank, kann das weltweit die Märkte, auch nationale Märkte destabilisieren. Die Stabilität des Systems kann nur durch globale Regeln gesichert werden, und genau daran arbeitet der Baseler Ausschuss. Sobald also in diesem Jahr der Baseler Ausschuss seine Arbeiten zu Basel III abgeschlossen hat, sollten alle großen Finanzmärkte die neuen Standards umsetzen – in Europa und anderswo.
Und hier bereiten mir die jüngsten Vorschläge des US-amerikanischen Finanzministeriums Sorgen. Es scheint so als sollten Elemente der globalen Reform verschoben oder gar nicht erst umgesetzt werden. Dabei geht es um so wichtige Bereiche wie etwa die neuen Regeln zum Handelsbuch. Aus meiner Sicht werden nationale Alleingänge die Stabilität des Finanzsystems nicht fördern – ganz im Gegenteil.
Umso wichtiger ist es, dass die EU die Baseler Standards implementiert. Denn auch für den europäischen Bankenmarkt sollten Bankenregeln möglichst harmonisiert werden.
Und damit sind wir bei der zweiten Frage: Wie europäisch muss die Regulierung in Europa sein?
Der gemeinsame Binnenmarkt ist ein zentraler Baustein des vereinten Europas. Und auch für Banken brauchen wir einen gemeinsamen europäischen Markt. Und dazu gehört auch, die Regeln für Banken zu harmonisieren – überall da, wo es Sinn macht.
Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass der europäische Bankensektor durch Vielfalt gezeichnet ist, auch als Folge nationaler Besonderheiten. Denn diese Vielfalt trägt zur Stabilität des Finanzsystems bei.
Was wir also brauchen, ist ein Gleichgewicht zwischen Harmonisierung und Vielfalt.
Es gibt einige Bereiche, die mehr und einige, die weniger Harmonisierung brauchen. Etwas weniger Harmonisierung brauchen wir zum Beispiel bei den kleinen Banken im Euro-Raum. Für sich genommen, ist eine kleine Bank ein geringes Risiko für das Finanzsystem – schwierig wird es nur, wenn viele kleine Banken gleichzeitig in Schieflage geraten-und dafür braucht es dann leistungsstarke und leistungswillige Institutssicherungen.
Insgesamt aber können die Regeln für kleine Banken weniger streng sein als für die Großen. Und das sind sie bereits: kleinere Banken haben es in vielen Dingen leichter als die Großen – Beispielsweise im Finanzreporting und in der Aufsicht.
Falls darüber hinaus gehende Erleichterungen diskutiert werden, eröffnet sich allerdings eine schwierige Frage: Wie groß, oder besser wie klein sollte eine Bank sein, damit die Erleichterungen für sie in Frage kommen? Was sind die richtigen Schwellenwerte?
In anderen Bereichen brauchen wir mehr Harmonisierung. Das wird deutlich, wenn man die europäischen Regeln genauer betrachtet – sie sind weder einheitlich, noch sind sie vollständig. Einige Aufsichtsthemen, die von einer einheitlichen europäischen Regel profitieren würden, sind nach wie vor von nationalen Regelungen geprägt.
Nehmen wir das Beispiel einer britischen Bank. Im Falle eines „harten“ Brexit könnte sie den EU-Pass verlieren, der ihr Zutritt zum Binnenmarkt verschafft. Um weiterhin im Binnenmarkt Geschäfte betreiben zu können, müsste sie sich in der EU niederlassen. Im Idealfall dürfte es nebensächlich sein, in welchem Land sie sich niederlässt. Das ist es aber nicht. Trotz Bankenunion spielt der Standort noch immer eine wichtige Rolle in den Lebensphasen einer Bank.
Betreibt eine britische Bank ihre Geschäfte zum Beispiel über eine Zweigstelle im Euro-Raum, dann unterliegt sie der nationalen Aufsicht und nationalen Regeln. Das führt dazu, dass für diese Bank unterschiedliche Eigenkapital und Liquiditätsvorschriften gelten, je nachdem in welchem Land sie ihre Zweigstelle gründet.
Selbstverständlich wird die Bank sich auch genau die unterschiedlichen nationalen Sanierungs- und Abwicklungsbedingungen anschauen. Und die wurden im Euro-Raum nur minimal harmonisiert, es gibt also noch keine einheitlichen Krisenwerkzeuge. So habe ich beispielsweise in jüngster Zeit schmerzhaft die Möglichkeit vermisst, ein Moratorium aussprechen zu können.
Die Beispiele, die ich genannt habe, zeigen, wie viele nationale Schranken den Weg zu einem europäischen Bankenmarkt derzeit noch versperren. Auch in Europa sollte für Banken gelten: gleiches Geschäft, gleiche Risiken, gleiche Regeln. Das sorgt für einen fairen Wettbewerb und verhindert, dass Banken regulatorische Unterschiede ausnutzen. Letztlich ebnen harmonisierte Regeln den Weg zu einem stabilen Bankenmarkt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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