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Andrea Enria
Chair of the Supervisory Board of the ECB
  • INTERVIEW

Interview mit der Süddeutschen Zeitung

Interview mit Andrea Enria, Vorsitzender des Aufsichtsgremiums der EZB, geführt von Meike Schreiber und Markus Zydra am 16. Dezember

26. Dezember 2022

Herr Enria, Ihr Job kann undankbar sein. Wenn etwas schiefgeht bei europäischen Banken, macht man Sie verantwortlich. Wenn Sie zu früh und viel warnen, gibt es auch Ärger. Stehen Sie sehr unter Druck?

Ich mache das jetzt schon ein paar Jahre, aber ja, ich schlafe manchmal nicht sehr gut. Wir haben zwei Probleme: Erstens verschlechtert sich die Wirtschaft. Das müssen die Banken gut steuern, und wir Aufseher sorgen dafür, dass sie das auch können. Das zweite Problem aber ist: Wie reagieren die Finanzmärkte auf die Herausforderungen einer sich eintrübenden Wirtschaft und einer strafferen Geldpolitik mit steigenden Zinsen? Das ist sehr viel schwerer vorherzusehen.

Wie gehen Sie mit dem Druck um?

Meine Frau hat einen guten Einfluss auf mich, wir lesen, gehen spazieren. Am Wochenende machen wir Ausflüge in Hessen. Und ich gehe früh morgens gerne joggen.

Sie sind zuletzt ziemlich angegriffen worden von Bankenchefs, es kam von allen Seiten…

Sicherlich nicht von allen Seiten, ich bekomme auch gutes Feedback. Als ich 2011 bei der europäischen Bankenaufsicht EBA angefangen habe, war es viel schlimmer. Für mich ist wichtig, daran zu erinnern, dass es bei unserer Arbeit nicht darum geht, den Banken zu gefallen, sondern darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wir machen das nicht nur zum Schutz der Kunden, Steuerzahler und Investoren, sondern auch für die Banken selbst. Gute Aufsicht zahlt sich langfristig für alle aus.

Nach unserer Wahrnehmung hatte die Kritik zuletzt einen sehr aggressiven Ton. Der Chairman der Société Générale hat einen Brandbrief geschrieben. Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing hat gesagt, er brauche keine Aufsichtsbehörde, die ihm sagt, was er tun soll. Um nur zwei Beispiele zu nennen.

Europas Banken sind gerade in einer schwierigen Lage: Einerseits notieren ihre Aktienkurse an der Börse sehr niedrig. Andererseits lief es 2022 bislang für viele Banken recht gut, trotz Krieg und Energieschock. Diese gute Stimmung wollen sich viele Banker gerne erhalten. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin kein notorischer Pessimist, aber unser Job ist es, die Banken daran zu erinnern, dass wir in eine tiefe Rezession fallen könnten. Deswegen weisen wir darauf hin, dass sie aufmerksam bleiben sollen. Aber klar: einige glauben, wir stören die Party.

Aufhänger der Kritikwelle waren Beschwerden darüber, dass die EZB an Aufsichtsratssitzungen der Banken teilnimmt.

Das ist ein Missverständnis. Wir nehmen nicht regelmäßig an Aufsichtsratssitzungen teil, nur gelegentlich und mit dem spezifischen Ziel, uns ein Bild davon zu machen, wie eine Bank geführt wird. Wenn Banken in eine Krise geraten, liegt es meist daran, dass der Aufsichtsrat nicht richtig hingeschaut hat. Daher wollen wir wissen, wie die Aufsichtsratsmitglieder diskutieren und ob sie den Vorstand kritisch hinterfragen.

Die Kritik kam ausgerechnet von Lorenzo Bini Smaghi, Chairman der Société Générale, der früher bei der EZB noch genau das Gegenteil gesagt hat. Enttäuscht Sie sowas?

Es steht jedem frei, seine Meinung zu ändern. Was mich manchmal enttäuscht, ist das fehlende Verständnis, dass es bei einer europäischen Bankenregulierung eben darum geht, gemeinsame Standards einzuführen. Zu Beginn der europäischen Bankenaufsicht haben wir uns die besten aufsichtlichen Verfahren aus ganz Europa herausgepickt und sie einheitlich in allen Mitgliedstaaten ausgerollt.

Sind die Banker inzwischen wieder gefährlich selbstzufrieden, fast fünfzehn Jahre nach der Finanzkrise?

So weit würde ich nicht gehen. Die Banken haben auf jeden Fall ihr Risikomanagement verbessert. Aber ich beobachte eine gewisse Geschichtsvergessenheit hinsichtlich der letzten großen Finanzkrise. Das sehen wir bei der Debatte um die Vorschriften von Basel III, die mehr Eigenkapital einfordern. Es gibt neue Leute an der Spitze der Finanzministerien oder im EU-Parlament, die scheinbar keine klare Erinnerung an die Finanzkrise haben. Und es gibt Politiker, die erneut denken, sie bräuchten laxere Regeln für die Banken in ihrem Land – im Irrglauben, das würde die Kreditvergabe und das Wachstum unterstützen.

Sehen Sie bei den Banken auch Moral Hazard, also das Gefühl, die Steuerzahler würden die Institute im Ernstfall schon retten?

Ich sehe eine neue Form von Moral Hazard, die ausgelöst wurde durch die starken fiskalischen, aufsichtsrechtlichen und geldpolitischen Maßnahmen während der Pandemie. Banken verstanden sich als Teil der Lösung und nicht des Problems. Und ja, die Banken haben ihre Kunden weiter mit Krediten versorgt. Aber das lag auch wesentlich an den öffentlichen Hilfen, die es dafür gab. Jetzt gibt es diese Hilfen nicht mehr. Die Notenbanken normalisieren ihre Geldpolitik. Die Staaten haben weniger finanziellen Spielraum und sind sich bewusst, dass eine massive staatliche Unterstützung den Inflationsdruck erhöhen würde. Es besteht die Gefahr, dass die Banken noch nicht bemerkt haben, dass die Situation nun eine andere ist und potenzielle staatliche Stützungsmaßnahmen beim nächsten Mal zielgerichteter wären und geringer ausfallen würden als in der Pandemie.

Worüber waren Sie zuletzt am meisten geschockt?

Das war, als im Oktober in Großbritannien nach Bekanntgabe des Staatshaushalts das Pfund und die britischen Staatsanleihen abgestürzt sind. Die britische Notenbank musste eingreifen. Als Aufseher haben wir natürlich immer die Risiken außerhalb der Bankenbranche im Blick, aber ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet von Pensionsfonds so eine gefährliche Situation ausgehen kann...

... Die britischen Pensionsfonds sind unlängst nur knapp einem „Lehman-Moment“ entkommen. Die Fonds hatten im großen Stil in britische Staatsanleihen investiert und hätten plötzlich massiv Sicherheiten nachschießen müssen. Nur der Eingriff der Notenbank, die im großen Stil Anleihen aufkaufte, verhinderte den Zusammenbruch. Kommt da noch mehr?

Marktliquidität ist in der Tat ein Problem. Früher haben immer irgendwelche Marktteilnehmer eingegriffen und Vermögenswerte gekauft, wenn diese in Zeiten von Marktstress schnell veräußert wurden. Heute ist das nicht mehr der Fall. Das ist eine sehr fragile Situation. Außerdem haben wir derzeit eine viel höhere Verschuldung im Finanzsystem als nach der Finanzkrise 2008, und zwar außerhalb des Bankensektors, wo wir weniger Einblick haben. Das beunruhigt mich.

Die Deutsche Bank und andere internationale Kreditinstitute machen wieder riskante Geschäfte. Wiederholt sich die Geschichte?

Zum Glück sieht die Welt heute anders aus als in den wilden Jahren vor 2008. Die Banken steuern ihre Risiken besser, selbst bei Geschäften mit komplexen Wertpapieren. Es liegt aber etwas anderes im Argen: Bestimmte Derivate sind ja sehr gut geeignet, um Risiken aus normalen Geschäften abzusichern. Allerdings kaufen Banken diese Derivate auch dann, wenn es gar nichts abzusichern gibt – wenn sie eben eine fremdfinanzierte Wette auf bestimmte Vermögenswerte eingehen wollen. Als Aufsicht unterscheiden wir da nicht, denn die internationalen Regulierungsbehörden haben sich darauf geeinigt, dass wir nicht zwischen Finanzprodukten differenzieren sollen aufgrund der Zwecke, die sie verfolgen. Das wäre auch sehr schwierig. Solange das gut geht, ist alles in Ordnung. Aber wenn es erneut knallt…

…Sie denken an die Pleite des Hedgefonds LTCM in den 1990er Jahren?

…und das führt mich zum zweiten Manko. Nach der LTCM-Pleite meinte man, es wäre zu schwierig all diese wenig oder gar nicht regulierten Hedgefonds oder ähnliche Finanzvermittler zu überwachen…

...man spricht hier auch von Schattenbanken.

Das Ziel war damals, dass die regulierten Banken künftig besser aufpassen sollten, mit welchen dieser Finanzinstitute sie Geschäfte machen. Man dachte, dadurch würden die am meisten risikobehafteten und verschuldeten Schattenbanken verschwinden, als eine Art Disziplinarmaßnahme. Doch das ist nicht passiert. Banken wissen oft nicht, wie riskant ihre Geschäftspartner aus diesem Sektor tatsächlich sind. Diese Schnittstelle zwischen normalen Banken und Schattenbanken ist gefährlich. Da müssen wir aufpassen. Ändert sich die Risikowahrnehmung unverhofft, dann wollen plötzlich alle verkaufen und Engagements reduzieren. Dann möchten alle aussteigen und es könnte zu Pannen kommen, die auch Banken treffen. Ein Beispiel hierfür ist das kleine Family-Office Archegos. Dessen Pleite bescherte großen globalen Banken herbe Verluste.

Wie kann die EZB eine korrekte Bewertung von komplexen Finanzprodukten sicherstellen und Panikverkäufe nach Schocks vermeiden?

Wir schicken regelmäßig Aufsichtsteams in die Banken. Sie machen Stichproben und schauen sich die Bilanzen und die Bewertungen dieser Wertpapiere an. Wenn die Bewertungsmodelle schlecht sind, fordern wir sofortige Verbesserungen ein. Aber wir können nicht jedes Jahr eine Armee von Aufsehern losschicken, die dann alle riskanten Produkte einer Bank durchleuchten und darauf abklopfen, wo Fehler bei der Bewertung gemacht wurden. Das ist nicht möglich. Die Bank selbst muss sicherstellen, dass sie über solide interne Kontrollen verfügt. Wir investieren viel Zeit und Mühe, um sicherzugehen, dass dies auch geschieht.

Die Aufsicht hinkt immer hinterher?

Leider liegt das in der Natur der Sache. Der Bankensektor entwickelt immer neue Produkte, und die Regulierer und Aufseher können sich nur nach besten Kräften bemühen, Schritt zu halten. Das ist die Wirklichkeit, in der wir leben.

Die Credit Suisse ist gerade in schweres Fahrwasser geraten. Die Bank wurde letztlich staatlich gerettet, durch Saudi-Arabien. Die Schweiz macht sich damit noch abhängiger von einer Autokratie. Würden wir sowas in der EU akzeptieren?

Europa sollte eine offene Wirtschaft bleiben, daher sollten wir generell auch offen bleiben für ausländische Investoren. Aber wir müssen natürlich die Geldgeber und die Herkunft des Geldes überprüfen, wir wollen hier schließlich nur sauberes Geld.

Die Credit Suisse stand offenbar kurz vor einem veritablen Bank-Run. Kunden haben in Scharen Geld abgezogen. Haben Sie sich Sorgen gemacht?

Mir machte Sorge, wie schnell die Märkte dort reagiert haben, auch ausgelöst durch unbegründete Behauptungen, die sich am Wochenende rasant über soziale Medien verbreitet hatten. Scheinbar reicht es für Investoren bei der aktuellen Marktlage schon, ein wenig Rauch zu sehen, dann rennen plötzlich alle weg. So etwas gab es früher nicht.

Könnten Fusionen von Banken zu mehr Stabilität führen?

Bei solider Ausgestaltung der Fusion und einem guten Business Plan schon. Grenzüberschreitende Fusionen innerhalb der Bankenunion könnten im Fall eines Schocks die Widerstandsfähigkeit unserer Märkte stärken. Es gibt zu diesem Thema aber weiterhin intensive politische Diskussionen. Wenn die Großbank in einem Land eine andere Bank in einem Nachbarland übernimmt, dann heißt es sofort: ’Wir verlieren unsere Spareinlagen, unser Geld wird genutzt, um andere zu unterstützen.’ Das stimmt aber nicht. Ein besser integrierter Bankensektor wäre stärker und würde dafür sorgen, dass die umfangreichen Ersparnisse innerhalb der Bankenunion besser genutzt werden. Dies käme unserer Wirtschaft und der Bevölkerung zugute. Ich hoffe, dass die Politik das irgendwann versteht.

Ihre Amtszeit endet 2023, was haben Sie erreicht?

Ich denke, dass wir bei der Stärkung des Bankensektor gute Fortschritte gemacht haben. Es ist uns zudem gelungen, die Zusammenarbeit zwischen der EZB und den nationalen Behörden zu verbessern, was für eine wirkungsvolle und effiziente Aufsicht von grundlegender Bedeutung ist. In den ersten Jahren nachdem eine komplexe Aufgabe wie die Bankenaufsicht auf europäischer Ebene zentralisiert worden war ließen sich gewisse Spannungen zwischen der zentralen Behörde und den nationalen Behörden nicht vermeiden. Mein Ziel war es, diese Spannungen zu überwinden und die Zusammenarbeit zu stärken.

Wir haben auch gezeigt, dass die Banken von der Bankenunion profitieren. Sie können sich nun mit ähnlichen Banken in der gesamten Union vergleichen. Wir halten ihnen quasi einen Spiegel vor und zeigen ihnen, wie stark oder schwach ihre Praktiken sind. Das hilft uns auch dabei, gute Praktiken im Sektor zu verbreiten.

Schauen Sie sich eigentlich Filme wie Wall Street oder Bad Banks?

Manchmal, aber um ehrlich zu sein: Meine Lieblingsfilme sind das nicht. Ich sehe jeden Tag bei meiner Aufsichtsarbeit, was in Banken passiert, da muss ich so etwas nicht auch noch am Wochenende ansehen.

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