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„Nach der Krise ist vor der Krise“

Interview mit Mark Branson, EZB-Aufsichtsratsmitglied und Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Supervision Newsletter

17 November 2022

Aufsichtsbehörden und Banken sind mit einer sich schnell verändernden Risikolandschaft und einem zunehmend komplexen Finanzsektor konfrontiert. Wie hat sich die BaFin seit Ihrem Amtsantritt im vergangenen Jahr auf dieses Umfeld eingestellt?

Die Risikolandschaft ist sehr heterogen und ändert sich ständig. Die Rolle der BaFin besteht darin, für ein möglichst stabiles und widerstandsfähiges Finanzsystem zu sorgen. Als Finanzaufsicht müssen wir risikoorientiert agieren und versuchen, im Vorhinein zu erkennen, an welchen Stellen und unter welchen Bedingungen das Finanzsystem besonders verwundbar ist. Dafür braucht es Szenario-Analysen, wie unser diesjähriger Stresstest der kleineren deutschen Banken (LSIs). Hier war der Fokus plötzlich nicht mehr auf andauernden Niedrigzinsen, sondern auf Zinsschocks nach oben.

Wir beobachten und analysieren laufend die aktuelle Risikolage. Zum Jahresbeginn identifizieren wir die Risiken, auf die wir unseren besonderen Fokus richten müssen. Mit unseren „Risiken im Fokus der BaFin 2022“ haben wir unsere Risikoeinschätzung erstmals transparent gemacht und erläutert, wie wir die darin genannten Risiken eindämmen wollen. Wobei klar war und ist, dass sich die Risikolage ständig ändern kann.

Mit diesem Ansatz wollen wir priorisieren, depriorisieren und klare Ziele für die Behörde setzen. Jede Aufsichtsbehörde braucht solche klaren Ziele, sie soll eine moderne Arbeitsweise haben und Entscheidungen von höchster Qualität treffen.

Trotz des Szenarios einer wirtschaftlichen Rezession und erhöhter geopolitischer Unsicherheiten sind die europäischen Banken in Bezug auf ihre eigenen Aussichten recht optimistisch. Befürchten Sie, dass sie die möglichen Auswirkungen auf die Bewertungen von Vermögenswerten unterschätzen könnten?

Die deutschen Banken sind im Durchschnitt aktuell gut kapitalisiert und auch insgesamt gut durch die Covid-Krise gekommen. Höhere Zinsen sind auch grundsätzlich ein positives Phänomen für Banken. Doch sollten sie sich auch auf die veränderte Risikolage einstellen. Mit der Zinswende sowie der Energiekrise und der Inflation kommt ein ganzes Paket an Herausforderungen auf die Realwirtschaft und so indirekt auf den Bankensektor zu.

Worauf es jetzt ankommt, ist eine ausreichende Resilienz, um mögliche Rückschläge verkraften zu können. Unsere makroprudenziellen Maßnahmen – der antizyklische Kapitalpuffer und der sektorale Systemrisikopuffer für mit Wohnimmobilien besicherte Kredite – sind ein wichtiger Beitrag dazu, die Widerstandskraft der deutschen Banken in diesem Sinne zu erhöhen. Dank dieser Maßnahmen ist bereits Eigenkapital im System konserviert worden.

Das mangelnde Risikobewusstsein war auch eine der Hauptursachen für die Finanzkrise im Jahr 2008. Hat sich dies im Laufe der Jahre verbessert, und welche Rolle hat die Aufsichtsbehörde dabei gespielt bzw. kann sie spielen?

Sowohl die Finanz- als auch die europäische Staatschuldenkrise waren Katalysatoren für wegweisende Entwicklungen und Regulierungsprojekte, die unsere Aufsichtspraxis heute bestimmen.

Zu den positiven Aspekten gehört sicherlich, dass sich damals die Stimmen durchgesetzt haben, die eine stringente Regulierung und eine starke Aufsicht forderten. Seither geben strengere und weitgehend einheitliche Standards die Aufsichtspraxis im Euroraum vor. Das hat entscheidend dazu beigetragen, die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems zu stärken, Aufsichtsarbitrage abzubauen und das Vertrauen in das System wiederaufzubauen.

Kritisch sehe ich allerdings, dass einige Reformen noch unvollendet sind: die Umsetzung von Basel III, das europäische Einlagenversicherungssystem, die Diskussion über die Risikogewichtung von Staatsanleihen in den Bilanzen der Banken, die Kapitalmarktunion: alles Themen, die noch angepackt werden müssen.

Und nach der Krise ist auch immer vor der Krise. Deshalb: Die Aufsicht muss stark, unabhängig, mutig, schnell, risikoorientiert, vernetzt, ganzheitlich und vorausschauend sein. 

Digitalisierung und Cybersicherheit sind eine Priorität der Aufsicht und für viele Banken eine Herausforderung. Wie gut sind die Banken auf orchestrierte Cyber-Attacken, z. B. aus Russland, vorbereitet?

Je digitaler die Banken werden, desto anfälliger werden sie für Cybervorfälle, woher auch immer sie kommen. Ob böswillig oder versehentlich verursacht, können IT-Pannen gravierende Folgen haben: Für das einzelne Institut steht die Reputation auf dem Spiel - ganz zu schweigen von den Folgen für die Kunden. Cybervorfälle gefährden nicht nur die Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit von Daten und IT-Systemen, sie können sogar die Finanzstabilität bedrohen. Operationelle Resilienz ist in unseren Zielen genau so prominent wie die finanzielle Resilienz.

So hatte die BaFin bereits in der Vergangenheit davor gewarnt, dass mit jedem internationalen Konflikt die Gefahr von Cyberangriffen durch feindlich gesinnte Staaten steigt. Auch Angriffe auf Dienstleister und Infrastrukturanbieter oder interne Vorfälle bei diesen Dienstleistern bergen ein extrem hohes Schadenspotenzial.

Und die BaFin - was unternimmt sie? Wir analysieren täglich Informationen des nationalen Cyber-Abwehrzentrums und tauschen uns bei Bedarf eng mit der Finanzwirtschaft über mögliche Angriffsmuster aus.

Wir haben weiter unser Augenmerk auf die Prävention – so führen wir beispielsweise vermehrt gezielte IT-Prüfungen bei Finanzinstituten und Dienstleistern durch.

Last but not least, haben wir gemeinsam mit Partnerbehörden und der Finanzindustrie auch den Fall eines gravierenden Cyberangriffs geübt, und es gibt bereits konkrete Planungen für eine baldige Wiederholung.

Kryptowährungen haben in diesem Jahr eine deutliche Korrektur erfahren, sind aber weiterhin beliebt. Deutschland ist eines der ersten Länder, das von den Banken eine Lizenz für den Handel mit diesen Produkten verlangt. Ist das Interesse der Banken groß? Was halten Sie davon, dass sich Krypto zunehmend mit dem traditionellen Bankensektor verbündet?

Das Interesse der Banken, ihren Kunden den Handel mit Kryptowerten anzubieten, erscheint mir insgesamt noch begrenzt. Aktuell haben wir vier Lizenzen für die Kryptoverwahrung erteilt und vierzehn Institute verfügen über eine vorläufige Erlaubnis.

Prinzipiell ist die Blockchain-Technologie vielversprechend. Bleibt zu hoffen, dass wir von vielversprechend zu effektiv und skalierbar kommen.

Allerdings sind nicht alle Krypto-Geschäftsmodelle seriös. Innovationswellen bringen bekanntlich auch Trittbrettfahrer und Betrüger mit sich. Und bestimmte Kryptowerte, die auf der Blockchain-Technologie basieren, bringen erhebliche Risiken mit sich, insbesondere, wenn sie als Investition verstanden werden. Derzeit stellen sie zwar keine Gefahr für die Finanzstabilität dar. Die Dinge könnten sich jedoch in diese Richtung entwickeln, sollte das Marktwachstum in diesem Bereich wieder an Dynamik zunehmen und die Verflechtungen mit dem traditionellen Finanzsystem noch enger werden.

Turbulenzen auf dem unregulierten Markt bringen Vertrauensverluste und schmerzhafte finanzielle Verluste mit sich. Gleichzeitig bremst Überregulierung Innovation. Deshalb brauchen wir ausgewogene und flexible Aufsichtsansätze und regulatorische Rahmenbedingungen, unter denen durchdachte und seriöse Produkte entstehen, die den Kunden einen Mehrwert verschaffen können. Dann wären Verflechtungen mit dem traditionellen System weniger gefährlich als sie heute wären. Diesen Ansatz verfolgt die BaFin.

Sie fordern volle Transparenz im Bereich der nachhaltigen Finanzen, damit die Anleger fundierte Entscheidungen treffen können. Welche Verantwortung haben Ihrer Meinung nach die Banken, um den grünen Transformationsprozess zu fördern?

Unser Schwerpunkt liegt neben den Finanzierungsentscheidungen und der Offenlegung auf dem Vertrieb von nachhaltigen Finanzprodukten. Seit August dieses Jahres sind Finanzberater verpflichtet, die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kundinnen und Kunden zu erfassen. Aus aufsichtsrechtlicher Sicht sind Transparenz, klare Standards für den Mindestanteil nachhaltiger Anteile im Produkt und eine marktgerechte Auswahl aus verschiedenen Arten nachhaltiger Finanzprodukte der am besten geeignete Weg, um die Präferenzen der Anleger zu berücksichtigen.

Wir als Aufsicht dürfen unser Mandat – nämlich die Überwachung von Finanzmarktrisiken – nicht überschreiten. Es ist nicht unsere Aufgabe zu entscheiden, ob die Technologie, die den Investitionen zugrunde liegt, als nachhaltig einzustufen ist. Das ist weder unsere Rolle, noch verfügen wir über das notwendige Fachwissen. Hier sind Politik und Wissenschaft gefragt.

Was wir Aufseher tun können und sollten: Transparenz schaffen. Anleger müssen erkennen können, ob, zum Beispiel, ein Produkt auf Unternehmen basiert, die aus ihrer Sicht „grün“ sind, oder den Übergang zu einer grünen Wirtschaft gestalten.

Nur wenn verantwortungsbewusste Anlegerinnen und Anleger den Inhalt und den Zweck der Produkte kennen, haben sie eine Chance, eine bewusste und gut informierte Entscheidung zu treffen. Das bedeutet aber auch: Das Produkt muss entsprechend gekennzeichnet sein, um der Komplexität des Sachverhaltes mindestens teilweise gerecht zu werden. Deshalb plädieren wir dafür, die Eigenverantwortung der Anlegerinnen und Anleger zu respektieren und zu fördern und zwar durch Transparenz.

Die BaFin prüft und überwacht, ob die Umsetzung in der Praxis erfolgt. In den vergangenen zwölf Monaten hat die BaFin insgesamt 167 neue Publikumsfonds als nachhaltig zertifiziert, Tendenz steigend. Diese mussten alle unsere neuen Transparenzstandards und Vorgaben zu nachhaltigen Produktinhalten nachweisen. Auf diese Weise geht die BaFin gegen Greenwashing vor.

Sie haben kürzlich eine Lösung vorgestellt, die das Berichtswesen sowohl für Banken als auch für Aufsichtsbehörden effizienter machen soll. Was sind die Hauptmerkmale Ihres Prototyps? Wie ist der aktuelle Stand der Diskussionen auf europäischer Ebene?

Ziel der BaFin-Studie war, Lösungsansätze für eine verbesserte Analysefähigkeit der Aufsicht bei gleichzeitiger Entlastung der Institute zu entwickeln und prototypisch mit Pilotbanken und -rechenzentren zu testen.

Die Beteiligten haben ein „Win-win-Zielbild“ entwickelt und mithilfe eines Prototyps validiert. Das Zielbild basiert auf einem granularen Datenmodell, das künftig für alle Meldeanforderungen einheitlich gelten könnte.

Ein weiterer Baustein des Zielbilds ist ein auf dem Modell aufbauendes maschinenlesbares Regelwerk für Datenqualitätsprüfungen und Datenpunktaggregationen. Wir kämen damit unserem Ziel näher, jederzeit auf die Daten zugreifen zu können, die wir als Aufsicht brauchen. Und zugleich reduzieren wir damit den Meldeaufwand für die Institute.

Dieses „digitale Fundament“ sollte auf EU-Ebene und idealerweise in Zusammenarbeit mit der Kreditwirtschaft geschaffen werden. Deshalb stellen unsere Experten die Ergebnisse der Studie in den nationalen und europäischen Gremien vor. Wir bauen auf die Unterstützung unserer Partnerinstitute in ganz Europa.

400 000 – so hoch ist derzeit die Zahl an Regeln und Datenelementen für das Meldewesen, die Institute individuell anzuwenden haben und aus denen sie IT-Lösungen entwickeln müssen. Im Interesse aller Beteiligten muss diese Komplexität deutlich reduziert werden.

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