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Interview mit Handelsblatt

Interview mit Ignazio Angeloni, Mitglied des Aufsichtsgremiums der EZB, geführt von Yasmin Osman am 27. Oktober 2017, veröffentlicht am 3. November 2017

Herr Angeloni, Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein hat von Frankfurt geschwärmt. Sie leben seit 15 Jahren in Frankfurt. Können Sie sein Lob für die Stadt nachvollziehen?

Ja, Frankfurt ist eine großartige Stadt, in der man sehr gut arbeiten und leben kann. Das gilt vor allem für Menschen mit Familie wie mich. Es hat sich sehr viel getan in den vergangenen Jahren und die Stadt entwickelt sich ständig weiter. Frankfurt mag relativ klein sein, ist aber lebenswert. Der Nahverkehr zum Beispiel ist in Rom, wo ich herkomme, eine sehr viel kompliziertere Angelegenheit. Das heißt aber nicht, dass die EZB Präferenzen für den Finanzplatz Frankfurt hat.

Blankfein war in Frankfurt, weil Goldman Sachs wegen des Brexit Aufgaben dorthin verlagern will. Andere Banken gehen den Umzug zögerlicher an. Zu zögerlich?

Wir sind seit einiger Zeit mit Banken im Gespräch. Viele haben vor Monaten Notfallpläne entwickelt. Aber natürlich verfolgen sie auch die politischen Verhandlungen und wollen abwarten, wie diese sich entwickeln. Das verstehe ich, weil das alles Kosten verursacht. Wir versuchen den Instituten möglichst klar zu signalisieren, welchen Aufsichtsansatz wir verfolgen, wie wir Lizenzen erteilen und interne Risikomodelle genehmigen.

Reichen die Fortschritte der Banken aus?

Die Banken sind das Thema zwar frühzeitig angegangen, allerdings haben ihre Fortschritte in letzter Zeit nachgelassen. Sie sollten keine Zeit verlieren. Wir sprechen allerdings auch nicht mit allen. Viele dieser Institute, gerade die globalen Finanzriesen, sind nach dem EU-Recht keine Kreditinstitute, wie wir sie kontrollieren, sondern Wertpapierhandelshäuser, also Investmentbanken, für die die nationalen Aufsichtsbehörden zuständig sind.

Wie stehen die Chancen dafür, dass die EZB die Aufsicht über große Investmentbanken erhält?

Die Europäische Kommission hat die Absicht vorzuschlagen, dass die EZB speziell auch die großen, für das Finanzsystem relevanten Investmentbanken beaufsichtigen soll. Es gibt da viele Synergien und bank-ähnliche Risiken bei diesen Instituten. Aus diesem Grund will die EU die EZB mit deren Aufsicht betrauen – und wir begrüßen dieses Vorhaben.

Ein Streitpunkt ist die Aufsicht über das Euro-Clearing von Wertpapieren. Kann es auch künftig in London stattfinden oder müsste es in der EU angesiedelt sein?

Die Londoner Clearing-Häuser bedienen auch viele Kunden in der Eurozone, es gibt also viele grenzüberschreitende Aktivitäten, die auch Risiken bergen. Wir sind als EZB nicht auf einen spezifischen Standort festgelegt. Wir fordern aber die Möglichkeit, kontrollieren zu können, wie diese Clearing-Häuser beaufsichtigt werden. Clearing ist eine wichtige Dienstleistung, und es ist wichtig, dass diese ausreichend sicher angeboten wird.

Dann könnte das Clearing in London bleiben?

Ja, wenn wir am Informationsfluss und der Aufsicht teilhaben können. Die Entscheidung ist aber noch nicht gefallen. Es kann sein, dass das Geschäft weiter in London stattfinden kann. Es kann jedoch auch sein, dass es angemessen ist, bestimmte Geschäfte zu verlagern.

Die EZB hat mit dem Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik begonnen. Hat das mehr Vor- oder Nachteile für europäische Banken?

Es gibt da viele Effekte, die zusammenwirken. Einerseits, haben die niedrigen Zinsen die Margen vieler Banken verringert. Andererseits sind dadurch aber die Marktwerte insbesondere langfristiger Wertpapiere gestiegen. Außerdem hat die Geldpolitik der Wirtschaft Luft zum Atmen verschafft, wodurch sich die Konjunktur erholt hat. Und das hat sich positiv auf die Kreditqualität der Unternehmen ausgewirkt. Auf ihre Frage gibt es daher keine einfache Antwort. Alles in allem ist es für die Banken aber gut, wenn sie bei den Zinsmargen wieder mehr Spielraum bekommen. Wichtig ist natürlich, dass der Übergang ohne Schocks erfolgt.

Deutsche Banken begrüßen eine Zinswende. Gibt es in anderen Ländern Verlierer, etwa weil es dann mehr Kreditausfälle gibt?

Das ist keine geografische Frage, sondern eine des Geschäftsmodells einzelner Banken. Vergessen Sie nicht, dass der EZB-Rat signalisiert hat, dass der Übergang zu höheren Zinsen sehr graduell erfolgen wird. Das aktuelle Zinsniveau ist weit davon entfernt, zu höheren Kreditausfallraten zu führen.

Die Altbestände an faulen Krediten sind ja auch so groß genug...

Wir haben in den vergangenen 18 Monaten große Fortschritte gemacht. Der Anteil notleidender Vermögenswerte in der Bankenunion ist in dieser Zeit von etwa sieben Prozent auf 5,5 Prozent gesunken. Es gibt auch in Ländern wie Italien große Fortschritte.

Warum denkt die EZB dann darüber nach, ihre neue Richtlinie zum Umgang mit faulen Krediten auch auf Altbestände anzuwenden?

Das hat eine lange Vorgeschichte. Wir haben uns die Bestände an notleidenden Krediten bereits beim großen Banken-Gesundheitscheck angesehen, den die EZB vor Gründung der gemeinsamen Bankenaufsicht durchgeführt hat. Vor einem Jahr haben wir dann einen neuen Aktionsplan begonnen und uns die besonders exponierten Institute ganz genau angesehen. Hilfreich ist dabei auch, dass es seit kurzer Zeit harmonisierte Statistiken für notleidende Kredite gibt. Wir haben nun bei jeder Bank angefragt, wie ihre Pläne zum Abbau notleidender Kredite aussehen, in welchem Zeitraum sie diese durchziehen wollen, mit welchen Instrumenten und ob die Banken auch organisatorisch gute Voraussetzungen für den Abbau geschaffen haben.

Mit welchem Ergebnis?

Die Banken haben ihre Pläne mittlerweile bei uns eingereicht und wir werden sie rigoros überprüfen. In den nächsten Wochen geben wir den Banken Rückmeldung. In vielen Fällen werden wir hoffentlich sagen können, dass die Pläne in Ordnung sind. Aber in einigen Fällen werden wir Banken sagen müssen, dass sie ehrgeiziger mit diesem Thema umgehen müssen. Im Moment wächst die Wirtschaft in vielen Ländern wieder. Genau deshalb ist der Zeitpunkt günstig, um Fortschritte zu machen.

Dafür braucht es die neue Richtlinie für faule Kredite?

Dieser Leitfaden zielt zunächst einmal auf künftige notleidende Kredite. Für diese künftigen Fälle beschreiben wir, wie Banken unserer Ansicht nach mit diesem Thema umgehen sollten. Das ist aber keine verpflichtende Vorschrift, die keine Flexibilität kennt. Wenn Banken von dem Leitfaden abweichen, liegt es an ihnen, uns zu erklären, warum das so ist. Wenn Banken gute Argumente dafür präsentieren, warum sie keine oder weniger Risikovorsorge benötigen, kann das im Einzelfall akzeptabel sein. Unser Vorschlag befindet sich im Moment noch in der Konsultationsphase. Ich denke, Ende des Jahres oder Anfang des neuen Jahres könnten wir dann dem EZB-Rat einen Vorschlag zur Genehmigung vorlegen.

Eine Anwendung auf alte Problemkredite ist aber auch im Gespräch.

Das hängt davon ab, wie erfolgreich die Banken beim Abbau ihrer notleidenden Darlehen sind. Wir gehen jetzt auf die Institute zu und prüfen ihre Pläne auf Herz und Nieren. In einigen Fällen werden wir mehr Anstrengungen, mehr Energie, mehr Aktion einfordern. Und irgendwann kommt der Moment, in dem wir eine Entscheidung treffen. Wenn einige Banken dann immer noch hinterherhinken und dieses Thema nicht konsequent angehen, müssen wir unsere Erwartungen darlegen.

Dann würde die Richtlinie für neue Problemkredite also auch auf Altkredite angewendet?

Das haben wir noch nicht entschieden. Die individuellen Abbaupläne der Banken und unsere Erwartungen ergänzen sich. Grundsätzlich gilt, wenn die Pläne der einzelnen Banken vollauf zufriedenstellend sind, müssen wir nicht handeln. Die Entscheidung darüber wird im ersten Quartal 2018 fallen.

Vertreter des EU-Parlaments werfen der EZB vor, mit der Richtlinie für faule Kredite ihre Kompetenz zu überschreiten.

Die EU-Minister haben im Juli gesetzgeberische Maßnahmen für faule Kredite auf den Weg gebracht. Die wären für alle bindend. An solchen Vorschriften muss das EU-Parlament beteiligt werden. Aber diese gesetzlichen Mindestvorschriften schließen weitere Schritte der Bankenaufseher in der qualitativen Bankenaufsicht ausdrücklich nicht aus. Unsere Vorgaben in dem Leitfaden sind keine harte Pflichtvorschrift, sondern spiegeln unsere Erwartung wider.

Faule Kredite gibt es auch bei deutschen Banken, insbesondere bei Schiffsfinanzierungen. Wie groß ist dieses Problem noch?

Schiffskredite sind nicht alleine in Deutschland ein Thema, und wir beobachten diese Engagements sehr genau. Die Schiffsbranche ist wichtig für die Wirtschaft, insbesondere für den Handel, und sie ist enorm zyklisch. Wir haben mittlerweile eine detaillierte Datenbank für Schiffsengagements aufgebaut, so dass wir die Trends genau beobachten können. Ohne ins Detail zu gehen, in einigen Fällen sind wir bei Banken aktiv geworden.

Rechnen Sie damit, dass weitere Rückstellungen für faule Schiffskredite nötig sind?

Das hängt von der jeweiligen Situation ab. Ich will da nicht verallgemeinern. Den Banken muss aber bewusst sein, dass dies eine sehr schwierige Branche geworden ist.

Wie realistisch schätzen deutsche Banken die Aussichten der Branche ein?

Banken – nicht nur in Deutschland – sind sich heute der Probleme sehr viel bewusster, aber natürlich gibt es einen gewissen Rückstau an Engagements, die bei einigen umgekippt sind. Wir sehen da sehr genau hin – nicht nur in Deutschland.

Italien hat wegen fauler Kredite drei Banken restrukturiert oder liquidiert. War das erst der Anfang oder der Höhepunkt?

Ich denke, es geht nun aufwärts. Nicht, weil wir unsere Aufsichtsarbeit abgeschlossen haben – es gibt noch viel zu tun –, aber weil jetzt die Richtung klar ist, in die es läuft. Es gibt eine gemeinsame europäische Aufsicht und es gibt mehr Transparenz. Jedem ist klar, dass sich das italienische Bankensystem in die richtige Richtung bewegt. Wir dürfen jetzt nur nicht stehen bleiben.

Die Banken-Abwicklungen in Spanien und Italien liefen sehr unterschiedlich ab. Braucht Europa einheitlichere Abwicklungsregeln?

Ich denke, dass einige Aspekte in der europäischen Abwicklungsrichtlinie BRRD noch verbessert werden könnten. Das betrifft zum Beispiel die frühzeitigen Eingriffsrechte, also die Instrumente, die Bankenaufseher nutzen können, wenn eine Bank in Schwierigkeiten gerät. Wir benötigen klarer umrissene Eingriffsrechte bei frühen Interventionen.

Was für Eingriffsmöglichkeiten genau?

Wir brauchen die Möglichkeit, Vorstände zu entlassen oder einen Zwangsverwalter einzusetzen. Es wäre außerdem wichtig, dass die gemeinsame europäische Abwicklungsbehörde schon im Vorfeld einer möglichen Abwicklung auf potenzielle Käufer für die Vermögenswerte einer Bank zugehen könnte. Bislang ist nicht so klar abgegrenzt, welche Eingriffe noch unter dem normalen Aufsichtsregime oder im Fall einer Frühintervention stattfinden. Eine klarere Abgrenzung ist wichtig, auch weil der europäische Abwicklungsmechanismus erst ab diesem Zeitpunkt aktiv Vorbereitungen treffen kann.

Für viele Banken ist die europäische Abwicklungsbehörde nicht primär zuständig. Müssen nicht auch die nationalen Abwicklungsgesetze für Banken harmonisiert werden?

In Zukunft wäre es ratsam eine stärkere Vereinheitlichung der nationalen Verfahren zu erreichen. Das Bestehen verschiedener regulatorischer Regelwerke in der Bankenunion führt zu Ineffizienz und hindert die Schaffung eines einheitlichen Bankenmarktes, was ein zentrales europäisches Ziel ist.

Vor kurzem gab es Spekulationen, Unicredit und BNP Paribas könnten die Commerzbank kaufen. Ist Europa schon reif für große, grenzüberschreitende Fusionen?

Konsolidierung findet in Europa längst statt, vor allem bei kleinen Banken, übrigens auch in Deutschland. Was die großen Banken anbelangt: Unter den globalen Top-Ten befinden sich aktuell vielleicht ein oder zwei europäische Banken. Man könnte meinen, dass Raum für mehr europäische Institute in der Eliteklasse wäre. Es wäre absolut legitim zu argumentieren, dass es da Raum für Fusionen gibt, um mehr Banken zu bekommen, die den Super-Giganten effektiv die Stirn bieten können. Ob die Zeit dafür reif ist, ist eine geschäftspolitische Entscheidung.

Das ist nicht allein eine geschäftspolitische Frage, die Aufsicht spielt da auch eine Rolle.

Das ist alleine eine geschäftspolitische Frage. Wir als Aufseher versuchen, ein gesundes, sicheres und transparentes Umfeld dafür zu schaffen, damit so etwas möglich ist. Wir sind prinzipiell nicht gegen solche Fusionen, solange die Geschäftsmodelle schlüssig sind und so lange die zusammengeschlossenen Institute adäquat organisiert und vor allen Dingen ausreichend kapitalisiert sind.

Die schiere Größe und das Risiko, das von so einer Bank ausgeht, schrecken Sie nicht ab?

Wir ergreifen in so einem Fall natürlich aufsichtliche Maßnahmen, die der Größe gerecht werden. Vor einigen Jahren etwa, bei einem Zusammenschluss großer Banken auf nationaler Ebene, haben wir aus genau diesem Grund einen höheren Kapitalpuffer von dem fusionierten Institut verlangt. Wir achten auch darauf, ob eine Fusion zu Synergien führt, ob das Geschäftsmodell schlüssig ist und Banken müssen natürlich auch auf die Kosten achten.

Fürchten Sie eher zu viele Banken oder Banken, die zu groß sind, um sie fallen zu lassen?

Die Überkapazitäten im Bankensektor erledigen sich über die Zeit von selbst. Dieser Prozess findet längst statt, vor allem bei kleinen Banken. Das „Too-big-to-fail“-Problem ist natürlich eine direkte Folge aus großen Zusammenschlüssen. Aber wir haben mittlerweile Instrumente, die es ausgleichen. Das gilt etwa für die Extra-Kapitalpuffer für systemrelevante Banken. Außerdem stehen diese großen Institute auch unter einer besonders aufmerksamen Aufsicht. Das ist für die Aufsicht komplex, aber nicht unlösbar.

Eine große Bankenreform,Basel IV, steht kurz vor dem Abschluss. Wie gut sind die europäischen Banken für deren Vorgaben gewappnet?

Eine Einigung wurde noch nicht erzielt, auch wenn ich hoffe, dass das nur noch eine Frage von Wochen ist. Im Wesentlichen geht es noch um die Frage, wie stark die Anwendung interner Risikomodelle von Banken begrenzt wird. Wenn es zu der Einigung kommt, werden die Banken nicht schockiert sein. Sie hatten viel Zeit, um sich vorzubereiten und es würde zum Teil auch sehr lange Übergangsfristen geben.

Herr Angeloni, vielen Dank für das Interview.

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