Interview mit Süddeutsche Zeitung
Interview mit Sabine Lautenschläger, Mitglied des Direktoriums der EZB und stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsgremiums der EZB,
geführt von Meike Schreiber und Markus Zydra und publiziert am 2. November 2016
Frau Lautenschläger, seit zwanzig Jahren überwachen Sie Banken, zunächst bei der Bafin, dann bei der Bundesbank und seit fast drei Jahren bei der EZB. Was läuft heute anders als früher?
Aufsicht ist objektiver und intensiver geworden. Täglich profitieren wir davon, dass Kenntnisse, Erfahrungen und Aufsichtstraditionen aus 19 Ländern zusammenkommen und in einen neuen Aufsichtsansatz einfließen. Das schärft unseren Blick und macht Aufsicht besser. Es ist heute aber auch komplexer geworden, da wir nicht nur ein Rechtssystem beachten müssen. Ein Aufseher hat üblicherweise einen großen Handlungsspielraum: bei uns kann dieser Spielraum für bestimmte Themen nicht in ein, sondern in bis zu 19 unterschiedliche Rechtsgrundlagen eingebettet sein. Deswegen muss alles gut begründet sein.
Sie können also quasi machen, was sie wollen, sofern Sie es allen gut erklären?
Das wäre zu einfach. Aber ich gebe Ihnen ein Beispiel: das deutsche Recht verlangt von Banken ein angemessenes Risikomanagement und es wird auch näher definiert, was „angemessen“ bedeutet. Diese deutschen Vorgaben müssen nicht unbedingt mit den Vorstellungen nationaler Gesetzgeber in anderen Ländern übereinstimmen.
Und?
Das macht unsere Aufgabe, Banken mit ähnlichem Risikoprofil auch ähnlich zu behandeln, manchmal schwierig.
War es bei der Bafin einfacher?
Es war anders. Die Entscheidungswege entsprachen denen einer typischen deutschen Behörde; einzelne oder wenige Personen trafen die wichtigsten Entscheidungen und gestalteten künftige Herangehensweisen. Das ist und soll in einer europäischen Gremienstruktur, die unterschiedliche Traditionen und Positionen zusammenführt, anders sein.
Früher bei der Bafin sind Sie auch oft in die Büros Ihrer Mitarbeiter spaziert und haben nach dem Rechten geschaut. Machen Sie das immer noch so?
Ich rede immer noch gern direkt mit Kollegen und Mitarbeitern. Leider ist es aber seltener geworden, weil ich sehr viel mehr Zeit in Sitzungen verbringe.
Da geht es auch darum, wie stabil die Banken in Europa sind. Hand aufs Herz: Wie viele Geldhäuser gibt es hierzulande, die, wenn sie Bankrott gehen würden, das globale Finanzsystem mit in den Abgrund reißen würden?
Es kommt nicht nur auf die Bank, auf ihre Größe und die Verflechtung mit anderen Instituten an, sondern auch, wie die Stimmungslage bei den Marktteilnehmern ist. Ich wundere mich manchmal, warum die Anleger an den Aktienmärkten bestimmte Nachrichten ruhig aufnehmen, die ich persönlich für relevant halte und umgekehrt manch andere News, die ich als eher harmlos ansehe oder die nur eine oder wenige Banken betrifft, die Kurse für viele herunterreißt. Können Sie sich an Lehman erinnern?
Ja, durchaus…
Sehen Sie, die Lehman-Pleite in 2008 hat nicht nur die Marktteilnehmer getroffen, die mit diesem Institut Geschäftskontakte im weitesten Sinne hatten. Ganze Marktsegmente waren betroffen und illiquide. Das hatte in dieser Konsequenz kaum jemand erwartet. Wenn Ihnen also heute jemand erzählt, er wüsste genau, wie die Märkte auf so etwas reagieren, dann würde ich anfangen, skeptisch zu werden.
Also kann man nicht ausschließen, dass sich eine Finanzkrise à la 2008 noch einmal wiederholt?
Eine Finanzkrise können Sie nie ganz ausschließen. Aber seit 2008 ist viel unternommen worden, um das Bankensystem stabiler und uns handlungsfähiger zu machen. Die Banken halten höhere Kapital- und Liquiditätsreserven und haben ein besseres Risikomanagement als in 2008.
Also Entwarnung?
Banken sind heute viel widerstandsfähiger, und wir Aufseher sind mit der Ausweitung unseres Instrumentariums nun in der Lage in bedrohlichen Situationen umfassender zu reagieren.
Der IWF hat die Deutsche Bank kürzlich als gefährlichste Bank der Welt bezeichnet. Das können Sie sich doch eigentlich nicht bieten lassen als zuständige Aufsicht, oder?
Da müssen Sie den IWF fragen, nach welchen Kriterien er zu diesem Schluss gekommen ist. Außerdem hat der IWF das anders formuliert.
Er hat gesagt, die Deutsche Bank scheine am meisten zum systemischen Risiko beizutragen.
Sehen Sie, das bedeutet ja etwas anderes als zu sagen, sie ist „die gefährlichste“ Bank der Welt. Das Financial Stability Board hat in Sachen Systemrelevanz das Ranking unter den großen global tätigen Banken veröffentlicht; das liefert eine gute Orientierung.
Hat sie also kein Problem? Ist die Deutsche Bank denn nicht gefährlich?
Ich rede nicht über einzelne Banken.
Dann lassen Sie uns über Europa sprechen. Italiens Bankenkrise zum Beispiel zeigt doch, dass jetzt viele Altlasten hochkommen, die ihre Vorgänger, also die nationalen Aufseher, übersehen haben.
Einer Bank mit klassischem Kreditgeschäft kann es mehr oder minder nur so gut gehen, wie es ihren Kunden geht. Geschäfte, die bei Abschluss im grünen Bereich waren, können aus verschiedenen Gründen, zum Beispiel einer anhaltenden Konjunkturschwäche, in den roten Bereich rutschen, notleidend und teuer für die Bank werden. Die konjunkturelle Entwicklung kann eine Aufsicht nicht beeinflussen; was wir aber machen können, ist die betroffenen Banken zu verpflichten, angemessene Wertberichtungen für notleidende Kredite zu bilden, die Abarbeitung derartiger Geschäfte zu verbessern und nachhaltige Lösungen zu suchen. Und dies haben und werden wir tun.
Haben Sie eigentlich eine Vision, wie ein idealer, stabiler Bankenmarkt aussieht? Sollte es weniger Banken geben?
Es gibt nicht den europäischen Bankenmarkt; dafür sind Banken und das Umfeld, in dem sie Geschäfte machen, zu unterschiedlich. Also gibt es auch nicht die eine Vision. Für uns ist wichtig, dass Banken gut aufgestellt sind, und zwar in Sachen Geschäftsmodell und Profitabilität, bei Kapital und Liquidität. Deswegen hinterfragen wir immer wieder die Geschäftsmodelle und die Bedingungen, unter denen die tragfähig sein müssen. Und da gibt es im Euroraum durchaus Unterschiede. Einige Institute müssen mit notleidenden Krediten und hohen Wertberichtungen zu Recht kommen und andere kämpfen mit vielen Mitbewerbern um denselben Kunden. Natürlich kommt dann das Thema Konsolidierung hoch, und zu Recht! Aber bitte nicht, dass zwei schwache Banken zusammenkommen. Lieber zwei starke Banken und auch gerne grenzüberschreitend. Damit wäre viel gewonnen.
Bei den Banken ist diese Hartnäckigkeit nicht populär, und auch seitens der Politik fürchten viele, dass die Banken vor lauter Regulierung nicht mehr ausreichend Kredit vergeben können. Welchem politischen Druck sind Sie ausgesetzt?
Wir als Aufseher wollen Banken haben, die nicht nur kurz, sondern mittel- und langfristig in der Lage sind, die Realwirtschaft zu finanzieren. Manch einer sieht einen Widerspruch darin, dass Banken Kredite vergeben und zugleich harte aufsichtsrechtliche Anforderungen erfüllen. Diesen Widerspruch kann ich nicht erkennen. Ganz im Gegenteil. Eine Bank, der die Aufseher strenge Vorgaben machen, bleibt nicht nur für die nächsten Jahre, sondern längerfristig in der Lage, der Wirtschaft ihre Dienste anzubieten.
Den Banken fällt aktuell geschäftspolitisch häufig wenig anderes ein, als die Gebühren zu erhöhen. Die Verbraucher zahlen auch auf diesem Weg für die EZB-Nullzinspolitik. Richtig?
Gegenfrage: Möchten Sie ihre Zeitung umsonst abgeben?
Eher nicht…
Eben! Aber Sie möchten, dass Ihre Bank beispielsweise die Kontoführung umsonst anbietet? Ich glaube, wir brauchen im Bankensektor einen fairen Preis für Dienstleistungen, wie in jedem anderen Sektor auch. Es gibt nicht immer alles kostenlos. Und das hat nichts mit dem Niedrigzins zu tun, das gilt allgemein.
Wollen Sie damit sagen, dass der Niedrigzins keine Belastung ist für die Banken?
Auf Dauer kann das Niedrigzinsumfeld vor allem für Banken im klassischen Kreditgeschäft eine große Herausforderung sein. Aber lassen Sie mich zwei Dinge festhalten. Erstens: Das niedrige Zinsniveau ist eine Folge anhaltend schwachen Wachstums und struktureller Faktoren wie dem demographischen Wandel; da spielen also national wie global viele Faktoren eine Rolle. Es resultiert nicht allein aus dem Leitzins der Zentralbank. Zweitens bietet die Niedrigzinsphase den Banken auch Vorteile. Sie können sich günstiger refinanzieren; die expansive Geldpolitik stützt zudem die wirtschaftliche Erholung, wovon wiederum die Banken profitieren.
Zugleich müssen die Banken inzwischen sogar einen Strafzins bezahlen, wenn sie Geld bei der Zentralbank hinterlegen. Gefährdet die EZB damit nicht die Stabilität der Banken?
Es ist derzeit nicht einfach, aber Banken müssen mit dem wirtschaftlichen Umfeld umgehen können, das ihnen geboten wird. Bankgeschäft bedeutet ständige Anpassung. Und sehr viele Banken, die deutliche Schwächen im Geschäftsmodell zeigen, hatten schon zu niedrige Erträge und zu hohe Kosten, bevor die Zinsen niedrig waren.
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