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Interview mit Süddeutsche Zeitung

Interview mit Danièle Nouy, Vorsitzende des Aufsichtsgremiums des einheitlichen Aufsichtsmechanismus
veröffentlicht am 24. Januar 2016

Frau Nouy, ein anderer Finanzaufseher hat mal über Sie gesagt, Sie seien die preußischste Französin, die er kennen würde. Ein Kompliment?

Ich kenne nicht alle Facetten, die das Wort preußisch im Deutschen hat, aber ich kann sagen, ich fühle mich tatsächlich oft sehr deutsch, das ganz sicher.

In welcher Hinsicht fühlen Sie sich deutsch?

Naja, die Leute hier arbeiten hart, sind verlässlich, verhandeln hart und gut; man setzt Dinge auch um, die man sich vorgenommen hat. Das gefällt mir. Alles in allem fühle ich mich aber europäisch.

Und wie drückt sich das aus?

Meiner Einschätzung nach können Herausforderungen, die zuvor auf einzelstaatlicher Ebene gelöst wurden, zunehmend nur auf europäischer Ebene effektiv in Angriff genommen werden. Klar, das gilt für meine Tätigkeit als Aufseherin, aber auch für mich als Bürgerin Europas. Ich habe den Eindruck, dass eine Antwort auf Fragen wie etwa die Zuwanderung von Migranten nur auf europäischer Ebene gefunden werden kann.

Ist Frankfurt nur ein Ort zum Arbeiten?

Nein, absolut nicht. Ich fühle mich sehr wohl hier. Ich lebe hier die ganze Zeit; mein Mann ist zwar in Paris, aber am Wochenende kommt er in der Regel nach Frankfurt. Letzte Woche war ich mal wieder in Paris, der Anlass war die Abschiedsfeier für Christian Noyer, den ehemaligen Gouverneur der Banque de France. Zuvor war ich vier Wochen nicht in Paris; nur mal über Weihnachten – wie jedes Jahr – in meinem Ferienhaus in Südfrankreich. Silvester waren wir wieder hier in Frankfurt.

Traditionell frankfurterisch auf der Main-Brücke Eiserner Steg?

Nein, in Menschenmassen fühle ich mich überhaupt nicht wohl. Mein Mann und ich sind zuhause geblieben, haben nett und in Ruhe zu Abend gegessen. Und am Neujahrstag sind wir lange im Wald bei Kronberg spazieren gewesen, dann Einkehr in einem Café auf dem schönen Schlossplatz von Kronberg, also ein perfekter gemütlicher Nachmittag.

Sprechen Sie schon etwas deutsch?

Nein, leider nicht, das ist meine große Schwäche. Franzosen meiner Generation sind ja leider nicht so gut in Fremdsprachen. Zum Glück bin ich hier als Bankenaufseherin rekrutiert worden, als Assistentin hätte man mich wohl nicht eingestellt (lacht). Die meisten Deutschen sprechen wirklich gut Englisch und oft auch Französisch. Die Kassiererin in dem Supermarkt, in dem ich immer einkaufen gehe, zum Beispiel, spricht mich immer auf Französisch an, seit sie weiß, dass ich Französin bin.

Sie reisen ja viel, haben Sie Angst vor Terroranschlägen?

Nein, ich bin keine ängstliche Person. Ich möchte mein Leben nicht ändern wegen der Terrorbedrohung. Die Terroristen wollen unsere Art zu leben beeinflussen, das sollten wir nicht zulassen.

Mancher sagt, Sie sind die zweitmächtigste Frau in Europa nach Angela Merkel. Wie fühlt sich das an – auch so plötzlich im Rampenlicht zu stehen?

Offen gesagt, ich mag das nicht so sehr, im Rampenlicht zu stehen. Ich bin das nicht gewohnt. Ich trauere daher der Zeit nach, als man als Aufseher noch hinter den Kulissen agierte. Bislang hatte ich nur zwei Mal im Leben einen Job mit persönlicher Außenwirkung. Als ich damals Generalsekretärin des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht wurde, da fragte man mich: „Sind Sie denn bereit, auch das Gesicht des Basler Ausschusses zu sein?“ Ich habe mir gesagt, okay, das ist neu, aber ich werde es schon lernen. Dadurch war ich vielleicht ein wenig vorbereitet auf meinen jetzigen Job. Ich weiß also, es ist Teil meines Jobs, aber gewiss nicht mein Bevorzugter: Ich mag all die öffentliche Aufmerksamkeit nicht.

Viele prominente Menschen genießen das…

Ja, und ich verstehe das überhaupt nicht. So viele Menschen packen ihr Leben ins Internet, in die sozialen Netzwerke. Das kann ich nicht nachvollziehen.

Ihre Karriere begannen Sie bei der Banque de France, wo auch Ihr Vater tätig war. Hatte das Einfluss auf Ihre Entscheidung?

Gar nicht. Ich wollte eigentlich lieber bei einer privaten Bank arbeiten. Aber das war damals gar nicht so einfach. Als ich mich Anfang der 70er Jahre bei einer privaten Bank bewarb, hieß es, die von mir angestrebte Stelle stünde Frauen nicht offen.

Das kann einen aber ganz schön ausbremsen, oder?

Nicht wirklich, da ich schon immer sehr selbstbewusst war. Ich musste einfach meine Pläne ändern. „Was ich nicht weiß, kann ich lernen“, war meine Devise. Ich bin auch heute noch so ein Typ; und ich mag die Einstellung der Berater: ein Problem ist eine Chance. Auch als ich studierte und mit meinem ersten Kind schwanger war, war ich immer davon überzeugt, dass ich das locker werde vereinbaren können, kein Problem.

Sie haben nicht aufgegeben, sondern sich einen anderen Job gesucht.

Ja, und das war erst gar nicht so geplant. Ich habe studiert, war mit meinem ersten Kind schwanger und mein Mann begann seine Karriere. Dann aber wurde er plötzlich und unerwartet doch noch zum Militärdienst eingezogen. Dann gab es keine andere Wahl, ich musste mir einen Job suchen. Damals waren wir gerade von Paris nach Bordeaux gezogen. Ich habe also – wie viele Franzosen – an den Aufnahmewettbewerben zum öffentlichen Dienst teilgenommen und habe dann bei der Banque de France angefangen.

Und was hat Ihr Vater dazu gesagt?

Er war nicht glücklich, weil er es lieber gesehen hätte, wenn ich zur École nationale d'administration (ENA) gegangen wäre oder wenigstens bei einer privaten Bank angefangen hätte.

Hatten Sie damals eine Vorstellung, in welche Richtung Ihre Karriere verlaufen soll?

Nein, und das sage ich auch heute zu den jungen Leuten. Man sollte nicht so viel planen. Man sollte für alle Abenteuer bereit sein. Wenn man sich für einen ersten Job entscheidet, ist das nicht immer für das ganze Leben. Allerdings habe ich mir damals durchaus überlegt: „Jetzt bist du bei der Banque de France. Was machst du da, um auch noch attraktiv zu bleiben für den privaten Sektor?“ Da dachte ich, das Beste wird sein, in die Bankenaufsicht zu gehen. Später habe ich dann immer mal wieder Angebote aus der Privatwirtschaft bekommen, aber die waren nie so reizvoll und bereichernd wie meine Tätigkeiten in der Aufsicht.

Sie haben einen Ruf wie Donnerhall. Viele Banker fürchten Sie. Wie machen Sie das?

Ich? Ich bin doch so klein und zierlich. Man kann sich doch gar nicht fürchten vor mir (lacht).

Wie machen Sie das dann? Wie gehen Sie mit den Bankern um?

Es ist gar nicht so sehr ein persönliches Ding. Alle Argumente müssen auf der Sachkenntnis und Expertise der eigenen Leute aufbauen. Wir haben hier wirklich sehr gute Leute bei der EZB, die ihren Job sehr gerne und gut machen. Dieses in der EZB vorhandene Wissen bereitet mich sehr gut vor. Wenn es aber schwierig wird, braucht man unbedingt auch eine eigene Meinung. Und dann sage ich den Bankern offen, was ich denke.

Wie sprechen Sie mit den Bankern? Sehr formal-juristisch?

Nein, überhaupt nicht. Ich bin Juristin, aber man sollte nicht zu rechtslastig argumentieren. Es geht um die Substanz. Ich erläutere den Bankern meine Einschätzung und meine Erwartungen und teile ihnen mit, dass sie meine Anmerkungen außerdem noch in einem Schreiben erhalten. Und wissen Sie, was die meisten Banker nach solch einem Gespräch sagen? „Sie sind ein wenig zu hart, Frau Nouy, aber Sie haben Recht.“

Wird es auch mal laut, gibt es Spannungen?

Naja, manchmal drohen die Banker mit rechtlichen Schritten.

Oh, passiert das oft?

Ganz gelegentlich, ja.

Deutsche Banker erzählen immer, man klagt nicht gegen die Aufsicht. Gibt es da Unterschiede?

Ja, vor allem die kleinen Banken beschreiten in anderen Ländern manchmal den Rechtsweg.

Wir sind jetzt im Jahr acht nach der Krise. Wie sicher ist das europäische Bankensystem heute?

Wir sind gerade dabei, diese jüngste Finanzkrise hinter uns zu lassen, daher hat sich noch nicht jede Bank komplett davon erholt. Ich habe aber keinen Zweifel, dass wir jetzt mit der europäischen Bankenunion viel besser dastehen als zuvor. Infolge des Comprehensive Assessments, einer Art Gesundheitscheck für Banken, haben die Banken viel Kapital aufgenommen, teilweise noch mehr als sie mussten. Wir haben aber noch nicht alle Probleme gelöst, in einigen Ländern lagern noch viele ausfallgefährdete Kredite in den Bankbilanzen. Für meine Kollegin Sabine Lautenschläger, die stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsgremiums, und mich ist der Umgang damit einigermaßen neu, weil diese Probleme in dieser Form in Deutschland und Frankreich nicht so verbreitet waren. Aber wir lassen uns gut beraten, zum Beispiel vom IWF und unseren Kollegen aus Ländern wie Irland, die sehr gute Lösungen gefunden haben, wie man faule Kredite abbaut.

Wir nehmen an, es geht um Griechenland, Zypern oder Italien?

Da will ich jetzt kein spezifisches Land nennen.

In der vergangenen Woche bereiteten die Banken in Italien und deren Bestände an notleidenden Krediten den Märkten Sorgen. Nimmt die EZB diese nun genauer unter die Lupe?

Eine unserer diesjährigen Prioritäten sind die notleidenden Kredite aller von uns beaufsichtigten Banken im gesamten Euro-Währungsgebiet. Eine Arbeitsgruppe holt daher zusätzliche Informationen bei den Banken im gesamten Euroraum ein. Dabei geht es um die technischen Aspekte, was den Umgang mit diesen Krediten betrifft. Das ist gängige Aufsichtspraxis. Dank der Erfahrungen der 19 SSM-Länder beim Umgang mit notleidenden Krediten können wir von den besten Aufsichtsansätzen profitieren.

Erwarten Sie Pleiten? In Italien und Portugal wurden kurz vor dem Jahreswechsel noch einige Banken vor dem Ruin gerettet. Was ist da los?

Die dortigen Aufseher und Politiker wollten einige Probleme lösen, bevor die neuen Gesetze in Kraft traten. Seit dem 1. Januar gibt es europäische Regeln für die Abwicklung von Banken, die eine Haftung der Gläubiger beinhaltet. Für Sparer, die ja auch Gläubiger einer Bank sind, bedeutet das: Bis 100.000 Euro ist ihr Geld sicher.

Meinen Sie, Europas Sparer wissen das?

Ich hoffe, dass sie es tun. Natürlich kommt es bei der Haftungsfrage immer auf die Struktur der Spareinlagen einer Bank an. Sie sollten sich ihre Bank sehr sorgfältig aussuchen.

Haben Sie eigentlich eine Vision, wie Europas Bankensektor in zehn Jahren aussehen könnte?

Nein, weil die Situation in jedem Land anders ist. In einigen Ländern weist das Bankensystem eine sehr hohe Konzentration auf. In Frankreich beispielsweise gibt es einige wenige Großbanken. In anderen Ländern wie etwa Deutschland gibt es eine deutlich größere Bandbreite. Ich denke, dass Vielfalt sehr gut ist. Die Konzentration in Frankreich ist das Ergebnis der Bankenkrise in den 1990er Jahren.

Aber Sie erwarten doch etwas von den Banken?

Sie sollen ihr Geschäftsmodell darauf überprüfen, ob es nachhaltig profitabel ist. Banken dürfen den Ernst der Lage nicht unterschätzen, denn die niedrigen Zinsen drücken die Gewinnmargen. Für einige Banken könnte die Lösung in einer Fusion mit anderen Banken bestehen.

Sie setzen die Banken doch zusätzlich unter Druck, weil Sie über die gesetzlichen Anforderungen hinaus noch mehr Eigenkapital fordern. Diese so genannte SREP-Überprüfung ist umstritten. Einige deutsche Banken klagen darüber, sie hätten schlechte Noten bekommen, nur weil sie staatliche Eigentümer haben.

Nein, das stimmt nicht. Ich wage sogar zu behaupten, diese Banken glauben selbst nicht, was sie da sagen. Aber natürlich mögen sie diese neuen Auflagen nicht. Wir haben die SREP-Überprüfung, die am Ende des jährlichen Aufsichtsprozesses steht, sehr gut gemacht, und vor allem war sie fair. Jeder wurde gleich behandelt. Das ist mir sehr wichtig, denn nur dann kann man hart durchgreifen. Im Aufsichtsgremium gab es für all diese Beschlüsse äußerst große Mehrheiten, wenn nicht sogar einen Konsens.

Die Banken beklagen auch, dass es viel zu viele Institutionen gebe, die in die Bankenaufsicht und -regulierung reinreden und sich dabei widersprechen.

Manchmal suchen die Banken die Widersprüche, um einen Vorteil daraus zu ziehen. Aber es stimmt. Europa ist kompliziert, ich hätte es auch lieber einfacher. Außerdem werden viele Gesetze zur Bankenaufsicht auf nationaler Ebene gemacht, was zu einem juristischen Flickenteppich führt, der unsere Arbeit komplizierter und weniger effizient macht. Aber so ist das halt. Ich muss den Gesetzen folgen.

Haben Sie als ehemalige französische Bankenaufseherin besondere Beziehungen zu französischen Banken?

Wissen Sie, ich habe nun mehr als 40 Jahre lang den Finanzsektor in Frankreich beaufsichtigt. Jetzt, an diesem Punkt meiner Karriere und in meinem Alter, habe ich die tolle Chance, in 19 Ländern tausende Banken zu überwachen. Das ist sehr spannend, und deshalb ziehen die französischen Banken nicht meine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Ich habe mich viel mehr mit den griechischen Banken und all den Banken aus anderen Ländern beschäftigt, die unsere Aufmerksamkeit erforderten. Ich bitte sehr oft Sabine Lautenschläger, die entsprechenden Entscheidungen für Frankreichs Banken zu treffen (und das Gleiche gilt auch andersherum).

Lautenschläger, eine Deutsche, schaut auf Frankreichs Banken, und Sie, die Französin, schauen auf deutsche Banken?

Ja, und auch die Leiter des jeweiligen gemeinsamen Aufsichtsteams für eine bestimmte Bank kommen grundsätzlich nie aus dem Land der Bank.

Stärkt das die Freundschaft zwischen den Völkern?

Ja klar (lacht).

Wie reagieren Sie, wenn ein Banker Sie direkt anruft?

Ich mag das nicht besonders, wenn Banker ihre Probleme nur mit mir besprechen wollen. Das sollen sie zuallererst mit den für die jeweilige Bank zuständigen Personen tun. Erst wenn eine Eskalation erforderlich ist, schaue ich mir das an, und wir finden eine Lösung.

Und wenn Sie den Banker gut kennen?

Das ändert nichts an der Sache.

Die Entscheidungsprozesse in der Bankenaufsicht sind kompliziert. Wenn Sie im Aufsichtsgremium eine Entscheidung treffen, dann muss diese nach dem Verfahren der impliziten Zustimmung dem EZB-Rat vorgelegt werden. Kam da schon mal was zurück?

Nein. Wir sprechen hier von tausenden Entscheidungen, die dem EZB-Rat vorgelegt werden. Da sind Entscheidungen dabei, die nicht einmal meinen Tisch erreicht haben, oder die Tische auf den nächsten Hierarchieebenen unter mir, da die SSM-Verordnung keine Delegation vorsieht. Ich glaube nicht, dass sich der EZB-Rat jedes Detail ansehen kann. Er muss dem Aufsichtsgremium vertrauen.

Das klingt alles nach einer anstrengenden Arbeit. Wie findet es Ihre Familie eigentlich, dass Sie diesen Top-Posten haben?

Darüber sprechen wir nicht viel. Eine meiner Töchter arbeitet in der Finanzbranche, aber wir unterhalten uns nicht über die Arbeit. Insgesamt ist meine Familie wohl stolz auf mich, weil ich noch keine schwerwiegenden Fehler gemacht habe (lacht).

In der EZB wird Englisch gesprochen. Ist das nicht komisch, immer in einer Fremdsprache zu arbeiten?

Nein, es ist normal und stellt alle auf die gleiche Stufe. Die allermeisten Kollegen müssen in derselben Fremdsprache kommunizieren. Die englischen Muttersprachler müssen dafür ertragen, dass man ihre Sprache mitunter brutal verhunzt. Die Kollegen sind da auch mit mir sehr geduldig.

Sind Sie ein anderer Mensch, wenn Sie französisch sprechen?

Ich kann mich da eleganter und präziser ausdrücken, klar. Auf Englisch wirkt das wohl immer ein wenig sehr direkt. Aber eigentlich bin ich auch auf Französisch sehr direkt.

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