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Interview mit Handelsblatt

Interview mit Danièle Nouy, Vorsitzende des Aufsichtsgremiums der EZB,
publiziert am 1. April 2015

Frau Nouy, die konjunkturelle Lage in der Eurozone ist reichlich schlecht: Das Wachstum ist niedrig, die Zinsen noch niedriger und die Arbeitslosigkeit hoch. Ist das kein Albtraum für eine Bankenaufseherin?

Natürlich beunruhigt uns das. Unsere Arbeit ist in einem günstigeren Wirtschaftsumfeld leichter. Andererseits bietet die Situation auch einen wesentlichen Vorteil: In schwierigen Zeiten sind die Banken vorsichtiger und gehen keine unüberlegten Risiken ein.

Treiben nicht gerade die extrem niedrigen Zinsen die Banken in größere Risiken?

Die Gefahr würde ich erst dann sehen, wenn das Niedrigzinsumfeld lange andauert. Derzeit sind die Banken aber eher damit beschäftigt, ihre Kapitaldecke aufzubessern.

Sind die niedrigen Zinsen nicht schon jetzt ein Angriff auf das Geschäftsmodell vieler Banken?

Natürlich sind die niedrigen Zinsen eine Herausforderung für die Profitabilität der Banken, weil die Zinsmarge dann niedrig ist. Auf der anderen Seite sollte man nicht vergessen, dass niedrige Zinsen auch das Wachstum der Realwirtschaft befördern und es dadurch tendenziell zu weniger Kreditausfällen kommt. Eine hohe Risikovorsorge wäre umgekehrt schädlich für die Profitabilität der Banken. Allein wegen der niedrigen Zinsen sehe ich aktuell keine Bank in akuter Existenznot.

Nicht einmal in Griechenland? Dort sind einige Banken in einer besonders prekären Finanzsituation?

Die nationalen griechischen Bankenaufseher haben gute Arbeit geleistet. Die Institute sind solvent und liquide. Diese Liquidität beobachten wir übrigens auf das Genaueste. Wir reden täglich mit den Aufsehern und Banken in Griechenland.

Griechische Banken sollen ihren Bestand an griechischen Staatsanleihen nicht weiter ausweiten. Wie bedrohlich ist die enge Verflechtung zwischen Banken und dem Staat in Athen?

Es gibt ein ganz generelles Problem, was die Behandlung von Staatsanleihen in Bankbilanzen anbelangt. Sie werden als risikofrei behandelt. Wir haben während dieser Krise aber gelernt, dass auch Staatsanleihen nicht risikolos sind. Banken sollten deshalb auch Staatsanleihen mit Kapital unterlegen müssen, so wie alle anderen Vermögenswerte auch.

Was wäre ein gutes Risikogewicht für Staatsanleihen?

Es geht mir nicht um eine Revolution und ein besonders hohes Risikogewicht. Vielfach sind dies ja Vermögenswerte von guter Qualität. Es geht in erster Linie darum anzuerkennen, dass Staatsanleihen nicht risikofrei sind. Wenn die Regulierung das klarstellen würde, wäre das ein starkes Signal. Dieses Signal ist wichtiger als die Menge an Kapital, mit dem die Anleihen dann unterlegt werden sollen.

Sollte auch das Volumen an Staatsanleihen begrenzt werden, die eine Bank besitzt?

Ja, für Staatsanleihen sollten Großkreditgrenzen gelten, so wie für jeden anderen Kredit auch. Banken dürfen einem einzelnen Schuldner in Summe nicht mehr Geld leihen als höchstens ein Viertel ihres Eigenkapitals. Das wäre auch eine sinnvolle Größenordnung für Staatsanleihen. Da die Eurozone aus 19 Mitgliedsstaaten besteht, haben die Banken genug Möglichkeiten, um ihre Staatsanleihebestände breit zu streuen.

Müssten auch deutsche Banken ihren Bestand an heimischen Staatsanleihen limitieren, obwohl diese wahrscheinlich die sichersten in Europa sind?

Das ist zwar keine Frage für die nähere Zukunft, aber ja, wenn man solche Regeln einführen würde, wäre dies das Ergebnis.

Sind solche Vorstellungen bereits irgendwo ernsthaft in der Diskussion?

Der Baseler Bankenausschuss hat Gespräche über den Umgang mit Staatsanleihen begonnen. Das Europäische Parlament wäre für solche Vorschläge wohl auch offen. Wir bewegen uns also Stück für Stück in diese Richtung.

Viele Geldhäuser haben als Antwort auf die neue Bankenregulierung ihr Geschäftsmodell überarbeitet. Die Deutsche Bank überlegt beispielsweise, ihr Privatkundengeschäft abzuspalten. Ist das Universalbank-Modell am Ende?

Zu Einzelinstituten möchte ich mich nicht äußern. Aber ich denke nicht, dass das ein Beleg für das Ende der Universalbank ist. Ich würde es so sehen: Eine der Lehren aus der Finanzkrise war, dass es wichtig ist, dass Banken einen guten Abwicklungsplan für Notfälle erstellen. Teil eines solchen Abwicklungsplans kann eine andere Organisationsform sein, zum Beispiel die Aufspaltung einer Bank in unterschiedliche Aktivitäten. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen einem guten Abwicklungsplan und dem Bedarf einer Trennung zwischen Investmentbanking und Einlagengeschäft.

Wie sieht dieser Zusammenhang aus?

Wenn der Abwicklungsplan sehr gut ist, dann brauchen wir die Trennung zwischen Investmentbanking und Einlagengeschäft weniger.

Ist ein Trennbankengesetz in Europa dann überhaupt noch notwendig?

Ich persönlich denke, dass das, was in Deutschland und Frankreich gemacht wurde, sehr vernünftig ist. Ich habe ernsthafte Bedenken, ob man noch darüber hinausgehen sollte. Wir sollten nicht vergessen, dass die Unternehmen in Europa zu 80 Prozent durch Banken finanziert werden, nicht über den Kapitalmarkt. Das unterscheidet uns von den USA.

Gibt es Geschäftsmodelle, die Sie bevorzugen?

Auf keinen Fall. Ich persönlich schätze das sehr diversifizierte Bankensystem in Deutschland. Diese Diversifizierung ist ein Vorteil, von dem ich hoffe, dass wir ihn bewahren können. Allerdings müssen die Banken, egal welcher Kategorie sie angehören, auch profitabel sein.

Gerade mit der Profitabilität tun sich deutsche Banken aber traditionell schwer.

Das stimmt. Die Banken müssen sehen, ob sich nicht Kosten weiter senken lassen, Fortschritte bei den IT-Systemen könnten helfen und es könnte sein, dass auch die Zahl der Filialen reduziert werden müsste. Ich bin sicher, dass sich da Lösungen finden lassen. Übrigens ist das nicht nur Thema in Deutschland — einige Banken in meinem Heimatland tun sich mit der Profitabilität übrigens auch schwer.

Vor kurzem hat die Europäische Bankenaufsicht eine Überprüfung der Entlohnungspraxis der Banken angekündigt. Liegen erste Ergebnisse bereits vor?

Noch nicht. Wir wollen bis Juni eigene, harmonisierte Regeln vorlegen. Wir hatten so viel anderes zu tun, dass wir dazu bislang noch nicht gekommen sind. Das Schwierige ist, alles was wir tun, tun wir zum ersten Mal. Wir fangen zwar nicht bei Null an, weil wir uns ja die Praktiken der 19 nationalen Aufsichtsbehörden zum Vorbild nehmen können. Wir wollen uns immer an der besten aufsichtsrechtlichen Praxis orientieren.

Dann müsste der Prozess doch eigentlich schnell gehen.

Nur, wenn man sich einfach das beste Modell unter den 19 Möglichkeiten aussucht. Wenn man sich aber zunächst das Beste heraussucht und es dann um gute Aspekte aus anderen Modellen anreichert, dann wird die Sache schon komplizierter und braucht länger.

Prallen da Kulturen aufeinander?

Von einem Kulturkampf unter den Bankaufsehern würde ich nun nicht reden. Aber wir haben in diesem und im vergangenen Jahr festgestellt, dass wir unterschiedlicher sind als wir das erwartet hätten. Vordergründig kennen wir uns gut aus den unterschiedlichsten internationalen Gremien, aber unsere Herangehensweise ist sehr unterschiedlich. Selbst wenn das Ergebnis oft sehr ähnlich ist, ist unser Weg dorthin oft überraschend unterschiedlich.

Ist das gut oder schlecht?

Das kann ein Plus sein, weil es uns unterschiedliche Möglichkeiten eröffnet, etwas zu tun. In der Praxis kann es aber anstrengend sein, wenn zum Beispiel der Leiter einer Aufsichtsgruppe neun EZB-Leute, 20 nationale Aufseher aus dem Heimatland einer Bank, sowie ein paar Dutzend weitere Aufseher aus anderen Staaten, in denen die Bank aktiv ist, unter einen Hut bringen soll.

Wie lange wird es dauern, bis diese Unterschiede einer gemeinsamen Kultur weichen?

Schon eine Weile.

Zehn Jahre?

So lange nun auch wieder nicht. Aber zunächst müssen wir damit beginnen, die regulatorischen Vorschriften zu harmonisieren. Das EU-Gesetz, das die Vorschriften von Basel III umsetzt, lässt 150 nationale Wahlrechte zu, von denen 80 Prozent der Aufsicht unterliegen—der Rest unterliegt den Gesetzgebern. Jetzt da wir seit November die Aufsicht sind, müssen wir entscheiden, wie wir das Problem rigoros und effizient angehen. Es darf keine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner sein.

Haben Sie da konkrete Beispiele?

Ich denke an den Umgang mit steuerlichen Verlustvorträgen oder an die unterschiedlich geregelten Abzüge von Goodwill-Positionen. Allerdings benötige ich für solche Entscheidungen eine Mehrheit im Vorstand der EZB-Bankenaufsicht und da sitzen von uns sechs ständige EZB-Mitglieder drin, 19 weitere entsenden die 19 nationalen Aufsichtsbehörden.

Welche Rolle wird Ihre Behörde künftig beim Untersuchen und Sanktionieren von Fehlverhalten bei Banken spielen?

Ein kompliziertes Thema. Wir haben nun Befugnisse, das über Unternehmensführung, also im Englischen „Governance“, und interne Risikokontrolle anzugehen. Aber ob das Fehlverhalten künftig gänzlich verhindert wird, weiß ich nicht.

Vielleicht würde es helfen, wenn in Europa höhere Bußgelder erlaubt wären? In den USA reden wir von Milliardenstrafen, hier rechnen wir in Millionen?

Ich weiß nicht, ob es immer von der Höhe einer Strafe abhängt, ob es zu Fehlverhalten kommt oder nicht. Natürlich benötigen wir auch Befugnisse, aber das Problem beginnt doch schon viel früher. In meinen Augen beginnt das schon dort, wo Banken in anderen Ländern Einheiten aufbauen, dann aber nicht in der Lage sind, dort die gleiche gute Unternehmenskultur durchzusetzen wie in ihrem Heimatland.

Sind europäische Aufseher vielleicht zu nachsichtig mit ihren Banken? So sehen es zumindest amerikanische Banker.

Bei den amerikanischen Aufsehern haben wir dieses Image nicht. Was ich allerdings einräume ist, dass wir nicht alle Vorgaben des Baseler Bankenausschusses in unseren Gesetzen umgesetzt haben. Da sollten wir uns in Europa in Zukunft mehr an die Vorgaben aus Basel halten, schließlich ist die EZB Bankenaufsicht in diesem Ausschuss vertreten und bestimmt dort diese Regeln auch mit.

In Deutschland flammt immer wieder die Debatte über mögliche Interessenkonflikte zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht auf. Wie gut gelingt die Trennung zwischen Aufsicht und Geldpolitik innerhalb der EZB?

Ich weiß, dass das Thema gerade in Deutschland eine wichtige Rolle spielt. Aber keine Sorge. Als Aufseherin bin ich ein sehr disziplinierter Mensch. Es gibt Regeln und an die halte ich mich auch.

Wie zufrieden ist die EZB-Bankenaufseherin mit der Geldpolitik der EZB?

Ich bin nicht dazu legitimiert, über Geldpolitik zu sprechen und ich habe auch nie mit Geldpolitik zu tun gehabt. Ich lese darüber in der Zeitung wie jeder andere europäische Bürger auch. Aber ich halte die EZB für eine gute, starke und glaubwürdige Institution in Europa und bin stolz darauf, für sie zu arbeiten.

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