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Interview mit Welt am Sonntag

Interview mit Danièle Nouy, Vorsitzende des Aufsichtsgremiums des einheitlichen Aufsichtsmechanismus,
veröffentlicht am 7. Juni 2015

Nur vier der 123 Banken, die unter Ihrer direkten Aufsicht stehen, sitzen in Griechenland. Wie viel Zeit kostet Sie diese kleine Gruppe?

Die griechischen Banken nehmen die Zeit in Anspruch, die man auch sonst braucht, um ein Institut zu überwachen. Aber natürlich machen diese Banken angesichts der Situation ihres Heimatlandes eine schwierige Zeit durch.

Mittlerweile könnten Sie leichte Zweifel an Ihrer früheren Aussage haben, die griechischen Banken seien absolut solvent und liquide.

Nein, das habe ich nicht: Diese Banken sind weiterhin solvent und liquide. Die griechischen Aufseher haben in den vergangenen Jahren gute Arbeit geleistet, um den Finanzsektor zu rekapitalisieren und zu restrukturieren. Das hat auch das Ergebnis unseres Stresstests gezeigt. Schwierige Phasen hat es für die griechischen Institute bereits in der Vergangenheit gegeben. Aber nie zuvor waren sie so gut dafür gerüstet.

In der Vergangenheit haben Sie mehrfach kritisiert, dass latente Steueransprüche zum Eigenkapital zählen. Es dürfte Sie besorgt stimmen, dass diese gerade bei griechischen Banken mehr als 40 Prozent des Eigenkapitals ausmachen.

Das ist nicht nur ein griechisches Thema, sondern ein allgemeines Problem.

Aber in Griechenland ist es besonders virulent – weil nur der Rechentrick mit den Steueransprüchen die Banken vor der Pleite bewahrt.

Sicherlich sind latente Steueransprüche kein hochwertiges und voll belastbares Eigenkapital. Doch wir sind gerade in einer Phase des Übergangs, in der neue Kapitalregeln eingeführt werden. Mit Abschluss dieser Phase ist ein Teil dieses Problems gelöst. Das muss man dann aber global angehen.

Die griechischen Banken hängen seit Monaten am Tropf der Notenbank. Die darf aber nur Notkredite vergeben, wenn die Institute solvent sind. Wer in der EZB entscheidet darüber, ob das noch der Fall ist – Sie als Aufseher oder der EZB-Rat um Präsident Mario Draghi?

Geldpolitik und Aufsicht arbeiten strikt von einander getrennt. Wir haben unterschiedliches Personal und sitzen in verschiedenen Gebäuden. Wir haben gemeinsamen Zugriff auf Daten und arbeiten bei der Finanzstabilität eng zusammen. Ansonsten informieren wir uns gegenseitig nur über Sachverhalte, bei denen es unbedingt erforderlich ist. Wenn es um geldpolitische Entscheidungen wie Notfallkredite geht, muss deshalb der EZB-Rat entscheiden, welche Banken er als solvent einstuft. Wir machen unabhängig davon unsere eigene Prüfung.

Das klingt befremdlich. Was machen Sie, wenn ein EZB-Gremium die griechischen Banken noch als solvent einstuft und das andere nicht?

Das ist eine hypothetische Frage, die ich nicht beantworten werde. Ich mache nur meine Arbeit im Bereich der Aufsicht und schicke die Ergebnisse an den EZB-Rat.

Das ändert nichts daran, dass Interessenskonflikte drohen. Der EZB-Rat muss allen Ihren Aufsichtsentscheidungen zustimmen. Diese Entscheidungen können aber direkte Auswirkungen auf die Zentralbank als größten Gläubiger der griechischen Banken haben.

Ich habe vierzig Jahre in der Aufsicht gearbeitet, die auch in Frankreich unter dem Dach der Notenbank angesiedelt ist. Diesen angeblichen Interessenkonflikt, den einige Menschen immer wieder befürchten, habe ich nie erlebt.

Ursprünglich war die gemeinsame Ansiedlung von Bankenaufsicht und Geldpolitik unter dem Dach der EZB als Übergangslösung angedacht. Wünschen Sie sich langfristig eine komplette Trennung der Entscheidungen über Geldpolitik und Bankenaufsicht, so wie EZB-Direktoriumsmitglied Sabine Lautenschläger es fordert?

Ich könnte dauerhaft so weitermachen wie jetzt und brauche keine komplette institutionelle Trennung. Ich bin aber möglicherweise voreingenommen, da ich es aus Frankreich gewöhnt bin, so zu arbeiten. Genau so wie Sabine Lautenschläger die strikte Trennung von Aufsicht und Geldpolitik aus Deutschland kennt und deswegen vermutlich von anderen Erfahrungen geprägt ist. Ich denke, eine gute Aufsicht ist in beiden Regimen möglich.

Die Geldpolitik wirkt sich wiederum auf den Zustand der Banken aus. Sind die Institute trotz Niedrigzinsen noch ausreichend widerstandsfähig, um Wirtschaftskrisen zu überstehen?

Aus meiner Sicht leiden die Institute derzeit vor allem unter dem hohen Bestand an ausfallgefährdeten Krediten. Auch die niedrigen Zinsen setzen sie natürlich unter Druck. Doch diese haben auch gute Seiten: Sie fördern das Wachstum, Unternehmen und Haushalte stehen besser da und die Kreditrisiken der Banken verbessern sich. Wie es weitergeht, hängt davon ab, wie lange die Niedrigzinsphase noch anhält.

Wann könnten die Niedrigzinsen für die Institute gefährlich werden?

In der jetzigen Situation ist das nicht absehbar. Doch es ist wie mit jeder Medizin: Wenn Sie krank sind, sollten Sie diese nehmen. Nehmen Sie das Mittel aber zu lange, überwiegen die Nebenwirkungen. Insgesamt sehe ich die Krise als große Chance für die Institute, sich Gedanken über ihr Geschäftsmodell zu machen.

Meinen Sie damit insbesondere deutsche Institute? Sie sind traditionell wenig profitabel, auch weil der Markt stark zersplittert ist.

Als Aufseher entscheiden wir nicht über das Geschäftsmodell der Banken. Die vielfältige Bankenlandschaft in Deutschland sehen wir aber positiv, solange jede Bank, in ihrer Kategorie, ein nachhaltiges und profitables Geschäftsmodell hat und genug Kapital und Liquidität vorhanden ist.

Genau diese Vielfalt sehen die kleinen Banken in Deutschland durch die EZB-Aufsicht bedroht. Sparkassen und Genossenschaftsbanken befürchten, dass sie denselben Standards unterworfen werden wie Großbanken.

Das ist aber nicht der Fall. Direkt kümmern wir uns nur um die 123 bedeutenden Banken. Bei den kleineren Häusern stellen wir lediglich sicher, dass sie nach demselben Regelwerk beaufsichtigt werden – und wir haben dabei das Verhältnis zwischen der Größe einer Bank und dem Ausmaß an Kontrolle immer im Blick.

Vertreter des SSM haben aber durchaus angekündigt, dass sie sich auch kleinere Banken genauer ansehen wollen. Wie wird das in der Praxis aussehen – wie ein „Stresstest light“?

Die umfassende Prüfung der großen Banken im vergangenen Jahr war sehr wertvoll. Aber wir planen keine vergleichbaren Tests für die kleineren Banken. Wir schauen uns nur die Institute genauer an, die fast so groß sind, dass wir sie direkt beaufsichtigen müssten – also etwa knapp unterhalb einer Bilanzsumme von 30 Milliarden Euro liegen. Die kleineren Banken brauchen also keine Revolution in der Aufsicht zu befürchten.

Wird es für die großen Banken dieses Jahr einen weiteren Stresstest geben?

Nein, dieses Jahr gibt es keine solche Prüfung mehr. Aber natürlich gibt es ständig kleinere, gezielte Tests mit Blick auf bestimmte Risiken. Immer wenn wir den Banken die Frage „Was wäre, wenn...?“ stellen, ist das eine Art Stresstest. Einen allgemeinen, öffentlichen Stresstest wird es kommendes Jahr wieder geben. Aber dies kann durchaus weniger als die 123 Banken betreffen, die wir direkt beaufsichtigen.

Sie wollten sich dieses Jahr auch die internen Risikomodelle der Banken genauer ansehen. Wie weit sind Sie damit schon gekommen – und wie sehr hat Sie geschockt, was Sie bisher gesehen haben?

Erschreckend war zunächst einmal die Zahl der Modelle: Bei den von uns direkt beaufsichtigten Banken sind 7000 verschiedene davon im Einsatz. Wenn wir uns die alle ohne Hilfe von außen einzeln anschauen würden, bräuchten wir dafür wohl zehn Jahre. Deshalb müssen wir Prioritäten setzen. Wir werden mit den Banken beginnen, die durch ihre Modelle den Kapitalbedarf besonders stark herunterrechnen, um herauszufinden, ob das gerechtfertigt ist oder ob die Parameter angepasst werden müssen. Ich bin optimistisch, dass wir da mit ein wenig Unterstützung von außen innerhalb von zwei Jahren zu einem guten Ergebnis kommen können. Langfristig wäre es gut, die Zahl der Modelle zu reduzieren – ich begrüße deshalb die entsprechende Diskussion im Baseler Ausschuss der Bankenaufseher.

Hat diese erschreckende Zahl von Modellen auch Ihre Sympathie für ganz einfache Kennziffern gesteigert, etwa für die viel diskutierte Verschuldungsquote?

Die Verschuldungsquote sollte nur ein Auffangnetz sein, das einen gewissen Mindeststock an Kapital sicherstellt. In letzter Zeit haben sich da die Verhältnisse verschoben: Oft schränken die Verschuldungsquoten die Banken stärker ein als die risikobasierten Kapitalquoten. Das halte ich für keine gute Entwicklung.

Was stört Sie daran?

In Deutschland gibt es etwa viele Banken mit einem großen Privatkundengeschäft, das sehr gesund und stabil ist, aber wenig profitabel. Das geht oft mit einer relativ großen Bilanz, aber eher geringen Risiken einher. Warum sollten wir dieses Geschäftsmodell durch eine hohe Verschuldungsquote infrage stellen? Entscheidend sollten die Kapitalvorschriften bleiben, die sich nach dem Risiko des Geschäfts richten. Das ist komplizierter, aber holzschnittartige Kriterien helfen nicht weiter.

Sie wären also dagegen, die vorgeschriebene Verschuldungsquote von derzeit drei auf vier oder fünf Prozent zu erhöhen?

Die Verschuldungsquote sollte keine bewegliche Zielgröße sein. Man hat sich für eine gewisse Kennzahl entschieden. Diese Regel sollte nun erst einmal umgesetzt werden, was noch bis 2018 dauern wird. Wenn man dann später sieht, dass das nicht genug war, kann man ja meinetwegen noch einmal nachsteuern.

Mit dieser Aussage machen Sie die Chefs der Deutschen Bank glücklich, denen die Kennzahl der „Gesamtverschuldung“ großes Kopfzerbrechen bereitet.

Möglicherweise, aber ich sehe meine Aufgabe nicht darin, bestimmte Leute glücklich oder unglücklich zu machen.

Vielleicht ärgern Sie sie an anderer Stelle auch schon wieder. Ihre Institution möchte sich auch die Bonusregeln der Banken genauer ansehen. Gibt es da schon Ergebnisse?

Wir können nicht alles gleichzeitig machen. Schließlich tun wir dieses Jahr alles zum ersten Mal. Die Vergütungen nehmen wir uns nun ab Juni oder Juli vor. Solange bauen wir hier auf die gute frühere Arbeit der nationalen Aufseher auf – wir starten hier schließlich nicht bei Null.

Fühlen Sie sich denn noch in der Startup-Phase?

Nein, wir haben uns inzwischen vollständig in unsere Rolle eingefunden. Der Start der europäischen Aufsicht war eine beispiellose Aufgabe. Wir sind schon jetzt ein „Game Changer“, =wir haben bereits grundlegende Veränderungen herbeigeführt. Die Märkte haben mehr Vertrauen in die europäischen Banken als zuvor. Und was man nicht vergessen darf: Es gibt in Europa jetzt 1000 Bankenaufseher mehr. Das allein sollte die Qualität der Aufsicht steigern.

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