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Interview mit dem Handelsblatt

Sabine Lautenschläger, Mitglied des Direktoriums der EZB und stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsgremiums des einheitlichen Aufsichtsmechanismus,
29. Oktober 2015

Frau Lautenschläger, vor fast einem Jahr hat die europäische Bankenaufsicht ihre Arbeit begonnen. Was ist Ihr persönliches Resümee?

Es war ein erfolgreiches, aber auch ein anstrengendes Jahr. Wir sind gut vorangekommen auf dem Weg, europäische Banken besser zu beaufsichtigen und sicherer zu machen– etwa bei der Risikoanalyse und beim Kapital.

Sehen Sie jetzt manche Dinge weniger aus der nationalen Brille heraus als zu der
Zeit, in der Sie eine rein deutsche Aufseherin waren?

Selbstverständlich ist mein Blick jetzt noch europäischer „geschärft“ als es zu Zeiten deutscher Bankenaufsicht der Fall war. Jetzt schaue ich mir Banken aus 19 verschiedenen Ländern an, und die haben natürlich unterschiedliche Geschäftsmodelle und Risiken. Deutsche Banken beispielsweise sind kaum in Südamerika aktiv, wohl aber die Spanischen. Ich muss also ein ganz anderes volkswirtschaftliches Umfeld und nationale Traditionen berücksichtigen, je nach Bank, die wir beaufsichtigen. Diese Vielfalt schärft den Blick.

Nachdem Sie nun den direkten Vergleich haben: Sind die deutschen Banken stärker oder schwächer als die Geldhäuser anderer Länder?

Ich werde mich davor hüten, die rund 1800 Banken in Deutschland über einen Kamm zu scheren. Die deutschen Institute sind dafür zu unterschiedlich; manche sind ertragsstark und krisenfest, manche kämpfen mit einem schwachen Geschäftsmodell. Der große Vorteil der europäischen Aufsicht ist, dass wir einzelne Geschäftsfelder, Risikomanagement und Unternehmensführung verschiedener Banken miteinander vergleichen können. Es lohnt sich beispielsweise einige Geschäftsfelder der Deutschen Bank mit der französischen BNPP zu vergleichen.

...und wer schneidet besser ab?

Das werde ich Ihnen nicht sagen, denn die Geheimhaltungsvorschriften verbieten es mir über einzelne Institute zu sprechen.

Die nationalen Unterschiede spielen ja auch innerhalb des SSM eine Rolle.

In meiner jetzigen Funktion erfahre ich jeden Tag aufs Neue, wie europäisches Recht in nationales Recht überführt wurde und wie die jeweiligen nationalen Aufseher die nationalen und europäischen Regeln konkret angewandt haben. Und da sind die Unterschiede doch größer als ich es erwartet hätte.

Sie sind also enttäuscht, dass in Sachen Harmonisierung nicht noch mehr geschehen ist?

Wenn nationale Besonderheiten gerechtfertigt und nicht mit zusätzlichen Risiken verbunden sind, habe ich damit weniger Probleme. Für mich ist es vielmehr wichtig, dass gleiches Risiko auch gleich behandelt wird, egal ob die Bank in Frankreich, Italien oder Malta tätig ist. Und das sollte nicht nur für die Bankenaufsicht gelten, sondern auch für nationales Bankenaufsichts-Recht. Nationales Recht sollte also angeglichen werden, wenn es vergleichbare Risiken adressiert.

Die deutsche Regierung ist zuletzt für ihren Umgang mit der europäischen Aufsicht kritisiert worden. Ist Deutschland besonders eigenwillig oder verhalten sich andere Länder ähnlich?

Im konkreten Beispiel, den MaRisk, geht es unter anderem um Regeln für das bankinterne Risikomanagement und interne Kontrollen. Das Finanzministerium wird vermutlich die Befugnis erhalten, die frühere Verwaltungspraxis der deutschen Aufsicht in nationales Recht zu überführen. Das müssen wir anders als nationale Verwaltungspraktiken direkt anwenden, ohne es ändern zu dürfen. Ehemals aufsichtliche Erwartungen werden also in verbindliches Recht überführt, das dann aber auch nur in Deutschland gilt. Damit könnte es für den SSM schwieriger werden, eine einheitliche Aufsichtspraxis im Euroraum einzuführen. So etwas setzt ein gefährliches Signal für andere Länder.


Sind es nur die Deutschen, oder gibt es auch andere Länder die sich schlecht benehmen?
Nein, es gibt noch das eine oder andere Land, das nationale Aufsichtspraxis in nationale Regeln überführt hat. Und dann ist es ein großer Unterschied, ob nationales Recht vor und nach der Einführung des SSM geschaffen wurde.

Als deutsche Bankaufseherin haben Sie sich immer für eine Trennung zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht ausgesprochen. Sind Sie davon als für die Aufsicht zuständige EZB-Direktorin noch immer überzeugt?

Das sehe ich noch immer so. Allerdings – und auch das habe ich immer gesagt - hätten wir die europäische Aufsicht ohne die EZB niemals so schnell aufbauen und etablieren können. Sie brauchen einfach eine funktionierende Verwaltung, die zum Beispiel in so kurzer Zeit 26.000 Bewerbungen bearbeiten und ein IT-System aufbauen kann, auf das 25 Aufsichtsbehörden plus die EZB zugreifen können. Wir wollen außerdem nicht vergessen, dass die EZB dem SSM einen weiteren großen Vorteil bietet: Unabhängigkeit.

Wenn man einmal von der Unabhängigkeit der Aufsicht von der Geldpolitik absieht.

Die ist gewährleistet. Das Separationsprinzip wird eingehalten.

Da konnte man einen anderen Eindruck gewinnen, als es um die griechischen Banken ging.

Es ist auch im Falle der griechischen Banken eingehalten worden. Ich werde jetzt nicht über Einzelfallentscheidungen reden, aber es gibt ein Thema, wo Aufsicht und Geldpolitik immer aufeinandertreffen, egal ob man sie getrennt oder unter einem Dach organisiert: Bei Notfallkrediten für Banken. Zentralbanken werden immer Informationen der Aufsicht über die Solvenz des betroffenen Institutes benötigen, um zu entscheiden, ob Banken Notfallkredite erhalten sollten.

Nun, der Aufseher befand die griechischen Banken für solvent – und jetzt werden sie umfänglich rekapitalisiert.

Nochmal: über Einzelfallentscheidungen darf ich nicht reden. Aber unabhängig davon: Mittelfristig sollte man trotzdem darüber nachdenken, die Aufsicht von der Geldpolitik abzuspalten, um möglichen Interessenskonflikten vorzubeugen.

Wie weit ist denn nach einem Jahr die interne Harmonie in der EZB-Aufsicht gediehen. Man hört immer wieder, dass es große kulturelle Reibereien in den Aufsichtsteams gibt?

Als europäische Aufsicht müssen wir europäische, weitgehend einheitliche Lösungen finden, auch wenn diese oft auf bis zu 19 unterschiedlichen Rechtsgrundlagen basieren und die eine oder andere liebgewonnene Aufsichtspraxis umwerfen. Da wurde gerade im ersten Jahr viel diskutiert und erklärt, auch weil die Kolleginnen und Kollegen, die ein Aufsichtsteam führen, im Regelfall nicht aus dem Heimatland der von ihnen beaufsichtigten Bank kommen. Das war eine ganz bewusste Entscheidung. Wir wollten so einen frischen Blick auf die Institute erhalten, den Aufsichtshorizont erweitern und sicherstellen, dass die betreffende Bank nicht nach altem Muster beaufsichtigt wird.

Welche Erkenntnisse haben Sie daraus bislang gezogen?

Nicht überraschend lohnt es sich, unterschiedliche Erfahrungen zusammenzubringen. In Deutschland sind wir beispielsweise im Vergleich zu manch anderem europäischen Land sehr weit, wenn es um Klumpenrisiken geht. Auch bei der wichtigen Frage, ob Aufsichtsräte und Vorstände fachlich geeignet sind, kann die deutsche Aufsicht schon seit Jahren auf eine umfangreiche Verwaltungspraxis blicken. Dafür haben andere Länder modernere und umfassendere Strategien und Methoden, wie man als Aufseher den Abbau notleidender Kredite in Banken vorantreibt. Da sind wir in Deutschland bislang sehr individualisiert vorgegangen.

Wo werden die Schwerpunkte der EZB-Aufsicht im zweiten Jahr liegen?

Wir werden unter anderem unsere Aufsichtsmethoden, beispielsweise zum Liquiditätsmanagement in den Banken, weiter entwickeln. Auch neue Anforderungen an die interne Kapitalberechnung und das interne Kapitalmanagement der Banken stehen in diesem Jahr auf dem Arbeitsplan. Und ganz klar: Wir werden uns noch tiefgehender die Geschäftsmodelle vornehmen.

Das haben Sie doch eigentlich schon dieses Jahr gemacht.

Wir haben uns einen ersten Überblick verschafft. Den vertiefen wir jetzt und ergänzen ihn um das, was sich bei den Instituten, auch durch Anpassungen in den Geschäftsmodellen ergibt. Wir arbeiten weiter an Methoden, wie wir die verschiedenen Geschäftsaktivitäten der Banken besser beurteilen und vergleichen können. Dazu suchen wir bei den Banken vergleichbare Geschäftsfelder und -aktivitäten heraus und vergleichen dann unter anderem, welche Margen in diesem Geschäftsfeld erzielt und welche Sicherheiten verlangt werden und wie Risikomanagement und Prozesse aussehen. Damit wird man in einem Jahr nicht fertig bei 123 Banken.

Hat dieser Überblick bislang zu hohen Kapitalzuschlägen geführt?

Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Manche Banken weisen genau die Kapitalanforderungen auf, die sie vorher hatten; hier und dort sind Kapitalzuschläge geschrumpft, zum Beispiel weil die betreffende Bank etwas verkauft hat und dadurch das Risiko geringer geworden ist. Bei wieder anderen sind wir nicht nur aufgrund der Geschäftsmodellanalyse, sondern auch aus anderen Gründen zu dem Schluss gekommen, dass es höhere Kapitalzuschläge braucht. In der Gesamtheit sind die Zuschläge im Vergleich zum Vorjahr im Durchschnitt leicht gestiegen.

Also weniger als ein Prozent?

Im Durchschnitt um rund 30 Basispunkte, womit wir zu einem zufriedenstellend konservativen Kapitalniveau für das SSM-Universum gelangen. Hinzu kommen gesetzlich vorgeschriebene Puffer in Höhe von circa 20 Basispunkten.

Können die niedrigen Zinsen ein Systemrisiko für die Banken werden?

Mit einer kurzen Niedrigzinsphase werden die Banken zurechtkommen. Wenn dies aber länger dauert, stellt sich für einige Institute die Frage nach der Tragfähigkeit ihres Geschäftsmodels und wie gut sie mit einem Einbruch ihres Zinseinkommens auskommen. Da spielt es dann eine große Rolle, wie die jeweilige Bank vorgesorgt hat, Kosten einspart und ihr Geschäftsmodel anpassen kann.

Würden Sie im Zweifel individuellen Banken auch Kapitalzuschläge verordnen, um das zu berücksichtigen?

Ja, sicher. Wichtig ist auch die Entscheidung, ob man angesichts der künftigen Herausforderungen Erträge heute eher in der Bank behält oder sie ausschüttet. Niedrige Zinsen können sich aber nicht nur in der Frage des Kapitals niederschlagen, sondern auch in der Liquidität – nämlich dann, wenn sehr kurzfristige Einlagen langfristigen Ausleihungen gegenüberstehen.

Greift die EZB in solchen Fällen auch in die unternehmerische Entscheidung ein?

Wir sind nicht die besseren Banker. Es ist nicht unsere Aufgabe zu entscheiden, wie eine Bank gegensteuert. Unsere Aufgabe ist es aber einzufordern, dass sie gegensteuert oder einen Plan B für potenzielle Risiken hat. So einen Plan B wollen wir sehen, wenn wir Risiken für nicht ausreichend abgedeckt halten.

Sie haben sich dieses Jahr auch den Bereich Cyber-Kriminalität und IT-Risiken angesehen.

Ja, wir haben uns einen Überblick verschafft. Den benötigen wir, um Standard wie auch Best Practices in der europäischen Kreditwirtschaft zu bewerten und zu erkennen, wo die Branche insgesamt mehr tun muss und wo einzelne Banken Nachholbedarf haben. Denn je nachdem müssen wir individuell vorgehen oder Regeln und Vorgaben für alle erlassen, damit sich der Standard insgesamt hebt.

Was waren Ihre Erkenntnisse aus der Cyberumfrage?

Wir haben die Auswertung noch nicht abgeschlossen. Sicherlich werden wir das Thema IT-Sicherheit im nächsten Jahr weiter verfolgen. Dabei werden wir vermutlich drei Schwerpunkte setzen. Wir werden uns die Notfallplanung der Banken anschauen, die Auslagerung von IT Dienstleistungen und welche Fähigkeiten die Banken haben, sich selbst vor Angriffen zu schützen.

Gibt es daneben ein weiteres Thema, das auf den Nägeln brennt?

Ja, wir möchten auf der diesjährigen Umfrage zum Thema „Risk Governance and Risk Appetite“ aufbauen. Zurzeit denken wir darüber nach, bei etwa 30 Banken – darunter auch die ganz großen - Folgearbeiten anzustoßen. Dazu gehört auch, ob klare Vorgaben an die Mitarbeiter erfolgen – und wie die Bank sicherstellt, dass diese auch respektiert werden.

Regeln, die respektiert werden sollen – da sind wir nahe am viel zitierten Kulturwandel. Wie weit sind die Banken damit?

Alle haben Fortschritte gemacht. Manche sind mit dem Kulturwandel weit vorangeschritten; andere müssen noch mehr tun. Letztendlich ist es wichtig, dass Banken sich wieder auf ihre wesentliche Aufgabe besinnen: Sie versorgen Haushalte und Unternehmen mit Kredit in einer verlässlichen und langfristigen Partnerschaft. Und dann braucht es für einen Kulturwandel nicht nur klare Regeln und Strukturen, sondern auch Vorbilder und gelebte Praxis.

Wann ist Kulturwandel glaubwürdig?

Für einen glaubwürdigen Antritt müssen Banken so konkret wie möglich formulieren, was sie ändern wollen und was sie von ihren Mitarbeitern verlangen. Das Management der Bank muss Konsequenzen ziehen, wenn jemand gegen die neu ausgerufenen Richtlinien verstößt. Das muss unabhängig von der Hierarchiestufe gelten, auf der sich der Betroffene befindet - vom kleinsten Mitarbeiter bis zur obersten Etage. Ohne Konsequenz und Konsistenz kann man von keinem Mitarbeiter einen Kulturwandel verlangen.

Reichen die aktuellen Vorgaben bereits aus, oder müsste man regulatorisch noch an den Bonusregeln schrauben?

Für die Vergütung gibt es bereits etliche Vorgaben. Derzeit wird die Auszahlung gestreckt; und zwar auf drei bis fünf Jahre als Untergrenze. Für manche Geschäftsbereiche könnte eine längere Streckung geprüft werden – zumindest für diejenigen, deren Wirtschaftlichkeit langfristig einschätzbar ist.

Welche Frist schwebt Ihnen da vor?

Man könnte über eine Mindestfrist von fünf Jahren nachdenken.

Arbeit scheint es bei der Aufsicht jedenfalls mehr als genug zu geben – sie stellen noch einmal mehr als 200 Aufseher ein.

Wir haben unseren Bedarf auf Sicht von zwei Jahren berechnet. Für 2016 ist der Zuwachs von 160 neuen Bankaufsehern schon beschlossen. Für 2017 wissen wir ungefähr, was wir brauchen, aber das muss dann nächstes Jahr durch den ganz normalen Haushaltsprozess.

Reicht der Euro-Tower als Sitz der Bankenaufsicht für so viele neue Aufseher aus?

Ich sage nichts zu Gebäuden, dafür ist es noch zu früh.

Welche Bereiche wollen Sie verstärken?

Im Wesentlichen brauchen wir mehr Aufseher für die kleineren und mittleren Banken, die unter unserer direkten Aufsicht stehen. Für die kleinsten der signifikanten Institute haben wir oft weniger als eine Vollzeitkraft bereitgestellt. Dabei ist ein kleines, direkt von uns beaufsichtigtes Institut manchmal die größte Bank seines Heimatlandes – und deshalb für die Finanzstabilität dieses Landes sehr wichtig. Auch der Arbeitsaufwand im Querschnittsbereich ist größer als wir gedacht haben.

Woran liegt das?

Zum einem treffen wir häufiger Entscheidungen als in 2013 vorherzusehen war. Zum anderen ist die Bearbeitung vieler Themen viel aufwändiger als gedacht, auch weil nationales Recht so unterschiedlich ist. Das gilt zum Beispiel für die „Fit-and-Proper“-Tests, mit denen die fachliche Eignung neuer Bankvorstände kontrolliert wird. Allein für diese Tests gibt es 19 verschiedene, sehr unterschiedliche Rechtsanforderungen. Ein weiteres Beispiel: Die Kollegen müssen bei der Lizenzierung neuer Banken und bei Eigentümerwechseln immer auf ein Neues prüfen, was wir europäisch wollen, was das nationale Recht sagt und wie wir dann trotz der Grenzen, die uns das nationale Recht auferlegt, einen gemeinsamen, europäischen Aufsichtsansatz schaffen. Das ist immens viel Arbeit.

Nicht nur Sie haben viel zu tun – auch auf die Banken rollt viel Arbeit zu. Die EZB baut ein zentrales Kreditregister namens Anacredit auf. Sind Bankaufseher unersättliche Datenkraken?

Moment, Anacredit hat bisher nichts mit der Bankenaufsicht zu tun. Die Arbeiten zu Anacredit haben 2011 begonnen, als noch niemand an eine gemeinsame europäische Aufsicht dachte. In der ersten Stufe wird keine einzige aufsichtsrechtliche Anforderung enthalten sein, auch wenn wir Aufseher natürlich die Erkenntnisse aus den gesammelten Daten mitnutzen werden. Auslöser für Anacredit sind die Zentralbanken gewesen, die bessere und detaillierte Daten als Grundlage für ihre Arbeit brauchen.

Die Datensammelwut wirkt dennoch zunächst einmal befremdlich.

Wir brauchen Anacredit unter anderem für eine gute Geldpolitik. Wenn wir wissen wollen, ob unsere geldpolitischen Maßnahmen auch bei den privaten Haushalten wirken, benötigen wir Informationen über Kredite privater Haushalte. Die Millionenschwelle, die in Deutschland üblich ist, hilft da nicht. Das ist keine Haushaltsgröße. Daher rührt die Meldeschwelle von 25.000 Euro, ab der Kredite registriert werden sollen. Für einen Aufseher sind 25.000 Euro nicht relevant, für einen Geldpolitiker schon.

Ab den nächsten Stufen sind die Bankaufseher bei Anacredit aber dennoch mit dabei.

Wir wollen und müssen effizient sein, auch zugunsten der Banken: Wenn wir Daten abfragen, dann sollten wir in der zweiten und dritten Stufe auch die Anforderungen der Aufseher mit berücksichtigen. Das ist im Interesse der Banken, wenn nicht noch einmal eine Extra-Anfrage von der Aufsicht kommt. Auch für die Diskussionen über globale Regulierungsfragen ist das wichtig.

Also in Gremien wie dem Baseler Bankenausschuss?

Ich brauche zum Beispiel Daten für regulatorische Diskussionen, seien sie global oder auf EU-Ebene, um nachweisen zu können, dass wir in manchen Risikothemen tatsächlich besser oder anders aufgestellt sind als andere Weltregionen. Wenn ich aber nicht quantitativ belegen kann, dass sich bestimmte Risiken zum Beispiel aufgrund unserer spezifischen rechtlichen Ausgangslage bei uns anders darstellen als anderswo, dann gehe ich mit schlechten Karten in solche Debatten. Um konkret zu werden: Wenn Sie für die Kapitalunterlegung bei Banken Risikogewichte für den Mittelstand oder für private Kunden diskutieren, dann müssen Sie etwas vorweisen können. Behauptungen alleine reichen nicht, Belege gewinnen die Diskussionen.

Was bleibt, ist die berechtigte Sorge kleiner Banken, dass sie überfordert werden.

Das ist ein sehr deutsches Problem. Es gibt in anderen Ländern Kreditregister und Abfragen, die bei 50 Euro starten. Darüber hinaus gibt es Ausnahmen für die kleinsten Banken.

Gibt es dort ähnlich kleine Banken wie bei uns?

Ja. Es geht außerdem um Daten, die jede Bank in ihrem IT-System abgespeichert haben sollte. Vielleicht tut sich das eine oder andere Institut auch schwer mit Anacredit, weil es die Informationen auf verschiedenen IT-Systemen gespeichert hat. Eine Vereinheitlichung der Systeme kann auch für die Bank von großem Vorteil sein.

Sie beklagen, dass es so viele Falschinformationen über Anacredit gibt, warum rücken Sie die nicht mithilfe einer öffentlichen Anhörung gerade?

Wir bzw. die nationalen Zentralbanken haben mit allen Verbänden gesprochen, nur nicht öffentlich. Auch der Europäische Datenschutzbeauftragte wurde konsultiert und wir haben seine Anmerkungen berücksichtigt. Die erste Stufe von Anacredit dient nur Zentralbankzwecken, dafür ist eine öffentliche Anhörung nicht erforderlich. Sobald in der zweiten Stufe die Aufsicht ins Spiel kommt, ist das anders. Soweit sind wir aber noch nicht. Die Vorbereitungen haben begonnen und die EZB wird mit allen beteiligten Akteuren sprechen. Ich glaube, dass wir zu guten Ergebnissen kommen werden, denn Anacredit liegt im Interesse aller. Gute Statistiken sind die Voraussetzung für gute Entscheidungen.

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