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Interview mit Der Spiegel

Danièle Nouy, Vorsitzende des Aufsichtsgremiums des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM),
30. Juni 2014

Sie werden oft, wenig freundlich, als gestrenge Schuldirektorin beschrieben. Trifft Sie das?

Nouy: Ich weiß, meine Kinder sagen immer, ich sei langweilig, überorganisiert. Und, ja: Ich weiß sehr genau, was ich will und wie ich es bekomme.

Sie müssen innerhalb eines Jahres eine 1000-Mann-Behörde aus dem Boden stampfen – und führen parallel schon einen gigantischen Stresstest durch. Ist das nicht ein Himmelfahrtskommando?

Nicht im Geringsten, das werden wir zeigen. Es ging aber nur, weil wir unter dem Dach der EZB angesiedelt wurden, die uns mit Personal und Infrastruktur aushalf. So sind wir zwar wie ein Start-up-Unternehmen, das aber im Schutz eines sehr leistungsfähigen Brutkastens seine Arbeit begann. Im November, wenn wir offiziell die Aufsicht über die Banken des Euroraums übernehmen, sind wir startklar. Die Hälfte der Mannschaft ist bereits eingestellt.

Dennoch: Auch in der EZB gab es keinerlei Aufsichtserfahrung. Warum sollten Sie das besser machen als nationale Aufseher, die ihre Pappenheimer schließlich kennen?

Weil es jetzt innerhalb des SSM 1000 zusätzliche Aufseher gibt. Außerdem profitieren wir weiter von der Kompetenz der nationalen Aufsichtsbehörden, wie zum Beispiel der BaFin, aber die Entscheidungen werden in Frankfurt getroffen. Und Distanz ist da hilfreich, denn es ist nicht immer einfach, mit dem Druck umzugehen, dem Aufseher von Seiten der Politik oder von sonst wo unterliegen können. Nicht zuletzt machen wir uns die besten Aufsichtsinstrumente und -techniken zunutze – das ist für mich ein magisches Konzept, bei dem wir auf den Erfahrungen aller Aufsichtsbehörden aufbauen und als starkes Team arbeiten.

Die Unterlagen sind oft in der jeweiligen Landessprache verfasst. Sind Sie nicht weiter davon abhängig, was Sie von nationalen Aufsehern erfahren – und was nicht?

Bei Großbanken sind viele Dokumente auf Englisch gehalten. Bei kleineren Instituten kann die Sprache ein Thema sein. Aber nach meiner immerhin 40 Jahre langen Erfahrung sieht sich der normale Aufseher nicht als Diplomat, sondern sagt es gerade heraus, wenn er etwas Beunruhigendes entdeckt. Und künftig berichtet er das eben nicht mehr an seinen Chef zu Hause, sondern an einen Teamleiter in Frankfurt. Der muss aus einem anderen Land sein als die betroffene Bank, das haben wir beschlossen.

Sie müssen nicht nur mit 18 verschiedenen Bankgesetzen hantieren, sondern auch mit unendlich vielen nationalen Besonderheiten – wie etwa den deutschen Landesbanken. Sind deren Tage jetzt gezählt?

Ich werde mich nicht zu bestimmten Bankensektoren äußern, dazu weiß ich noch zu wenig. Aber jede Bank muss individuell zeigen, ob ihre Strategie nachhaltig ist, ob sie mittelfristig profitabel sein kann.

Genau bei diesen Punkten muss man bei einigen Landesbanken ziemlich dicke Fragezeichen setzen.

Bei privaten Großbanken gibt es genauso Fragezeichen. Wenn die Politik zum Beispiel auf europäischer Ebene beschließt, dass Geldhäuser das Privatkundengeschäft vom Investmentbanking abtrennen müssen, hat das sicherlich Auswirkungen auf die Profitabilität von einigen Instituten.

Um zum Start der europäischen Bankenaufsicht im November klare Verhältnisse zu schaffen, ziehen Sie gerade einen Bilanzcheck bei den Banken durch, den es so noch nie gab. Die erste Phase ist schon weitgehend abgeschlossen. Beunruhigen Sie die Ergebnisse?

Die Zahlen werden noch ausgewertet. Ich habe noch kein umfassendes Bild.

Viele Konzerne, darunter auch die Deutsche Bank, haben bereits in den vergangenen Monaten hohe Summen frisches Kapital an den Märkten aufgenommen. Sind damit die gröbsten Löcher schon gestopft?

Das wissen wir noch nicht. Der Stresstest wird hart sein, und erst danach können wir beurteilen, wie es aussieht. Aber wir sagen den Banken, sie sollen frühzeitig etwas tun. Wenn alle Ergebnisse im Herbst da sind, wird es eng werden auf dem Markt.

Das heißt, die Banken haben schon erste Ergebnisse?

Nein, aber sie haben ja eine Ahnung, wie es ihnen geht. Und wenn sie nicht genau wissen, wie viel Kapital sie brauchen werden, sollten sie lieber mehr als weniger aufnehmen.

Wer zahlt am Ende die Rechnung, wenn Banken beim Test durchfallen und am Markt nicht das benötigte Kapital bekommen?

Wenn Banken künftig Kapital brauchen, müssen zunächst Aktionäre und Gläubiger dafür aufkommen. Damit die Überprüfung der Banken aber glaubwürdig ist, haben die beteiligten Länder versprochen, gegebenenfalls staatliche Sicherungsmechanismen einzurichten. Für deren Nutzung ist jedoch ein hoher Preis zu zahlen.

Trotzdem haben dagegen unter anderem die Deutschen heftig protestiert, weil dann schließlich wieder Steuerzahler für schwache Banken einspringen müssen.

Ich verstehe, dass Politiker auf eine strikte Umsetzung der neuen Abwicklungsrichtlinie drängen und Ausnahmen wie diese vermeiden wollen. Doch unsere umfassende Bewertung ist gewissermaßen die letzte Handlung in der alten Welt. Deshalb brauchen wir einen öffentlichen Sicherungsmechanismus, um den Märkten zu signalisieren, dass wir einen sehr ernsthaften und harten Test durchführen wollen und mit Kapitallücken rechnen, die möglicherweise nicht von privaten Investoren geschlossen werden. Der Erfolg amerikanischer Stresstests basierte darauf, dass es für solch einen Fall einen öffentlichen Sicherungsmechanismus gab. Bei früheren Tests in Europa war das nicht der Fall, was zu erheblichen Verwerfungen geführt hat.

Soll das Geld womöglich aus dem europäischen Rettungsfonds ESM kommen, der zur Unterstützung angeschlagener Staaten geschaffen wurde?

Als letzter Ausweg wäre der ESM eine Möglichkeit. Aber wir werden uns auch nicht scheuen, Banken abwickeln zu lassen.

Viele Ökonomen halten derzeit eine längere Deflation, also eine Phase fallender Preise, oder einen Stopp russischer Gasimporte für die größten wirtschaftlichen Gefahren. Was für einen Sinn hat ein Stresstest, der diese Szenarien nicht berücksichtigt?

Ich denke, dass der Test sehr viele Risiken berücksichtigt. Man kann nicht ständig neue Szenarien entwickeln, nur weil die Welt sich weiterdreht.

Sie wollten die französisch-belgische Bankengruppe Dexia zum Teil von dem Test ausnehmen. Warum?

Nouy: Ich persönlich wollte gar nichts. Da ich früher als Chefin der französischen Bankenaufsicht direkt für Dexia zuständig war, habe ich mich zu dem Thema im neuen Aufsichtsgremium enthalten. Aber es geht um eine Bank, die sich in Abwicklung befindet. Sie hat also bereits die Höchststrafe erhalten, die für unseren Stresstest vorgesehen ist.

Nach unseren Informationen hat der EZB-Rat die Sonderbehandlung abgeschmettert.

Sie werden am Ende sehen, welche Bank wie behandelt wurde.

Es gab andere Institute, die versucht haben, die EZB an der Nase herumzuführen. So haben spanische Banken im Dezember 2013 – kurz vor dem Stichtag, der für den Bilanztest gilt – Staatsanleihen im Wert von über 20 Milliarden Euro verkauft, nur um sie kurz darauf wieder zu erwerben. Was sind dann die Ergebnisse des Tests eigentlich wert?

Es ist nicht so einfach, uns auszutricksen. Wenn wir Bedenken hatten, haben wir um Klarstellung gebeten.

Aber haben Sie das Verhalten auch sanktioniert?

Wir haben die Antworten bekommen, die wir haben wollten. Mehr sage ich dazu nicht.

Wir erinnern uns alle an frühere Tests, wo etwa zyprische Banken mit Bravour bestanden und kurz darauf zusammenbrachen. Besteht nicht die Gefahr, dass Ihnen das Gleiche passiert?

Mit dem Stresstest ist es wie bei einer ärztlichen Untersuchung. Ein Patient kann beispielsweise negativ auf Aids getestet werden und ein paar Monate später an Krebs sterben; aber diesmal umfasst der Check-up alle schweren Krankheiten.

Eine der Krankheiten, die viele Banken heute haben, sind hohe Rechtskosten. Beispielsweise sieht es so aus, als ob die französische BNP Paribas in den USA fast zehn Milliarden Dollar für den Verstoß gegen Sanktionen bezahlen muss. Werden Sie das in dem Test berücksichtigen?

Zu BNP kann ich mich nicht äußern. Die Basis für den Test ist der Stand Ende 2013. Aber natürlich ist seitdem viel passiert. Deshalb verlangen wir von den Banken, dass sie uns auch über Vorgänge nach dem Stichtag informieren, positive wie negative. Und diese Dinge werden auch Einfluss auf den Kapitalbedarf haben, der am Ende entsteht. Dabei spielen auch Rechtsrisiken eine Rolle.

Wissenschaftler halten Europas Bankensektor für geradezu krankhaft aufgebläht und gefährlich hoch verschuldet. Kann man das mit einem Stresstest in Ordnung bringen?

Ich sage nicht, dass es nach dem Test im europäischen Bankensystem keine Risiken mehr gibt. Der Test soll vor allem Transparenz darüber schaffen, wie es um die Banken steht und was sie in den Bilanzen haben. Das wird Vertrauen bei Investoren stiften.

EZB-Chef Mario Draghi will die Banken ermutigen, mehr Kredite zu vergeben. Läuft das nicht Ihren Interessen als Aufseherin zuwider, da Sie doch wollen, dass Banken weniger riskante Geschäfte machen?

Kredite an die Realwirtschaft waren in der Vergangenheit nicht die Hauptursache für die Probleme der Banken. Richtig ist aber auch, dass eine Bank für die Vergabe eines guten Kredits keine ‘regulatorischen Geschenke’ braucht. Wenn ein Geschäft sinnvoll ist, werden die Banken es schon aus eigenem Antrieb machen.

Wann gibt es den nächsten Stresstest?

Es wird jährlich einen Stresstest geben. Aber nicht genauso umfangreich wie dieses Mal. Die Tests werden sich ähnlich weiterentwickeln wie in den USA und stärker zu einem Instrument der laufenden Überwachung werden.

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